Betroffenen Gehör verschaffen

, Kreisdekanat Warendorf

„Danke, dass wir ins Sprechen kommen.“ Pfarrer Robert Winschuh zeigte sich bei der Informationsveranstaltung zum sexuellen Missbrauch durch Kaplan Heinz Pottbäcker, zu der die Pfarrei Heilig Geist in Bockum-Hövel am 10. April eingeladen hatte, dankbar für den Gesprächsanstoß und ermutigte dazu, „weiter im Gespräch zu bleiben“. Pottbäcker war von 1968 bis 1971 in der Gemeinde Christus König als Kaplan tätig. Vier Betroffene hatten sich in den vergangenen Monaten beim Westfälischen Anzeiger gemeldet und angegeben, von dem Geistlichen in seiner Zeit in Bockum-Hövel missbraucht worden zu sein.

Aus Sicht eines Betroffenen schilderte Martin Schmitz (links) aus Rhede seine Erfahrungen mit Heinz Pottbäcker. Über weitere Details informierten Dr. Hermann Kahler und Ann-Kathrin Kahle.

© Bistum Münster

Aufklärung und Aufarbeitung standen im Zentrum der Veranstaltung im Pfarrheim Christus König, bei der Ann-Kathrin Kahle, Präventionsbeauftragte des Bistums Münster, zunächst allgemeine Informationen zum sexuellen Missbrauch, zu Täterstrategien und Tätertypen sowie zu den Folgen des Missbrauchs für die Opfer gab. Sie warb für einen weitgefassten Sexualbegriff: Neben strafrechtlich relevanten Formen der Gewalt umfasse dieser auch unangemessenes Verhalten, beispielsweise in Form von Berührungen oder Witzen. Auch sexuelle Übergriffe seien eine Form, bei der bewusst Grenzen überschritten würden. „Für den Schutz von Kindern und Jugendlichen sind Erwachsene zuständig“, betonte Kahle. Sie gelte es zu stärken, damit sie sprachfähig werden und für den Schutz von Kindern und Jugendlichen einstehen könnten.

Einen erschütternden Einblick aus Sicht eines Betroffenen gab Martin Schmitz, der in Pottbäckers Zeit in Rhede von dem Geistlichen missbraucht wurde. Knapp zwei Jahre lang war er den Verbrechen des Kaplans ausgesetzt, bei Ferienfreizeiten, in Gruppenstunden, im Pfarrhaus. Viele Jahre litt Schmitz als Erwachsener unter Schlaflosigkeit, Depressionen, Selbstmordgedanken – kämpfte, um „seelisch zu überleben“. In Rhede hat er nun eine Selbsthilfegruppe für Opfer sexuellen Missbrauchs gegründet: „Ich möchte Betroffenen Gehör verschaffen“, erklärte er.

Details zum Fall Pottbäcker, soweit sie in Münster bislang vorliegen, legte Dr. Hermann Kahler, ehemaliges Mitglied der Missbrauchskommission des Bistums Münster, vor. Dabei ging er auch auf die Versetzung des wegen sexuellen Missbrauchs bereits 1968 vom Landgericht Bochum verurteilten Pottbäckers ein, denn bereits bevor der Geistliche nach Bockum-Hövel versetzt wurde, war er straffällig und verurteilt worden. Über die Zeit Pottbäckers in Bockum-Hövel lasse sich anhand der Personalakte nichts sagen, erläuterte Kahler, der auch Kirchenjurist ist. Mittlerweile stehe aber fest, dass mindestens vier Jungen aus Bockum-Hövel während Pottbäckers dreijährigem Dienst Opfer seiner pädophilen Neigungen wurden. Ein weiterer Fall werde derzeit geprüft. „Es gab Entscheidungen, vor denen man aus heutiger Sicht fassungslos steht“, sagte Kahler: „Wie konnte man einen Priester, der sich des Verbrechens des Missbrauchs schuldig gemacht hat, an eine Schule versetzen? Wie konnte man ihn erneut in einer Pfarrei einsetzen?“ 

Denn zwischen 1974 und 1981, führte Kahler aus, sei Pottbäcker als Religionslehrer an einer Berufsschule in Recklinghausen eingesetzt worden, wo er tagsüber mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu tun hatte. 1981 wurde er Pfarrer in Recklinghausen. Ein Jahr später verging er sich sexuell an drei Jungen, wofür er verurteilt wurde und eine Geldstrafe zahlen musste, nachdem er ein umfassendes Geständnis abgelegt hatte. Kahler berichtete, dass Pottbäcker fortan nicht mehr in der Pfarrseelsorge tätig gewesen sei, sondern im Bistumsarchiv in Münster, als Krankenhausseelsorger in Rheinberg und in Neuenkirchen (Oldenburg) gewirkt habe. Der Fall Pottbäcker sei „ein Fall der kirchlichen Hierarchie“ gewesen, betonte er. Leitungsverantwortliche hätten die Betroffenen damals nicht im Blick gehabt, die Tragweite des Missbrauchs sei ignoriert worden und aus der Verurteilung Pottbäckers nur unzureichende Konsequenzen gezogen worden. „Letztlich wurde nicht durchgegriffen, um Kinder zu schützen“, fasste Kahler zusammen.

Auch Münsters Bischof Dr. Felix Genn äußerte sich zum Fall Pottbäcker und ließ eine persönliche Erklärung verlesen: „Der sexuelle Missbrauch durch Kaplan Pottbäcker zu Beginn der 1970er Jahre in Rhede und an anderen Orten unseres Bistums war ein widerwärtiges Verbrechen“, zitierte Kahler den Bischof. Durch den sexuellen Missbrauch seien junge Menschen auf schändliche Weise verletzt worden. „Die Taten waren nur möglich durch ein System der Vertuschung und des Nichthinsehens und weil viel zu wenig auf das Leid der Opfer geschaut wurde“, betonte Genn weiter in dem Schreiben. Eher sei darauf geachtet worden, das Wohl der Institution nicht zu beschädigen. „Kirchliche Verantwortungsträger haben hier Fehler gemacht“, stellte der Bischof unmissverständlich klar und versprach: „Soweit das überhaupt noch möglich ist, werden wir, schon weil wir das jedem einzelnen Opfer schuldig sind, für eine Aufarbeitung dieser Vergangenheit sorgen.“ Seine Form der Entschuldigung sei vor allem eine Zusage: „Ich werde alles tun, was mir möglich ist, um sexuellen Missbrauch in unserer Kirche heute und in Zukunft zu verhindern. Daran will ich mich messen lassen.“

Um Hilfe und Unterstützung ging es am Ende der Veranstaltung. Das Seelsorgeteam der Pfarrei Heilig Geist wies auf die unabhängigen Ansprechpartner des Bistums für Fälle sexuellen Missbrauchs hin, deren Kontaktdaten im Internet auf www.bistum-muenster.de zu finden sind. Ansprechpartner sind auch die Ehe-, Familien- und Lebensberatungsstellen, die Telefonseelsorge sowie die Selbsthilfegruppe in Rhede, zu der es nähere Informationen im Internet unter www.selbsthilfe-rhede.de gibt. Auch die Mitglieder des Seelsorgeteams stehen unter Telefon 02381 972770 für Gespräche zur Verfügung. 

Ann-Christin Ladermann