Bischof zieht Brasilien-Bilanz

, Bistum Münster

Im Rahmen seiner Pastoralreise nach Lateinamerika hat der Bischof von Münster, Dr. Felix Genn, im Anschluss an einen Aufenthalt in Lima verschiedene Orte in Brasilien besucht. Stationen vom 22. bis 29. März waren das Bistum Óbidos, die Hauptstadt Brasilia und Porto Alegre.

In Porto Alegre besuchte Bischof Felix Genn zwei Sozialprojekte des Bistums, bei denen er einen jungen Mann spontan segnete.

© Bistum Münster

Das Bistum Óbidos wird, seit es 2011 von einer sogenannten Territorialprälatur zum Bistum erhoben wurde, vom Franziskaner Johannes Bahlmann geleitet. Er stammt aus Visbek (Landkreis Vechta) im Bistum Münster und wurde 2009 von Bischof Genn zum Bischof geweiht. Das Bistum Óbidos liegt am Amazonas. Bischof Genn hielt sich hier unter anderem zwei Tage in der Pfarrei Terra Santa auf. Zum Abschluss der Reise ging es nach Brasilia und Porto Alegre, wo Bischof Genn unter anderem zu Gast bei der brasilianischen Bischofskonferenz war und mit einer deutschstämmigen Gemeinde Gottesdienst feierte.

Bevor es für den Bischof nach zwei Wochen Lateinamerika zurück nach Münster geht, fasst er seine wichtigsten Erfahrungen aus Brasilien im Gespräch zusammen.

Herr Bischof, von Peru aus hat Sie der zweite Teil Ihrer Pastoralreise nach Brasilien geführt, zunächst an den Amazonas. Was hat Sie hier besonders beeindruckt?
Am Amazonas hat mich tief bewegt, was Missionare aus Deutschland, und gerade auch aus dem Bistum Münster, hier geleistet haben. Was haben diese Frauen und Männer alles auf sich genommen, um bei der Evangelisierung mitzuwirken und um nahe bei den Menschen zu sein! Das fängt banal beim Zurücklegen der großen Entfernungen auf Pisten und über den Amazons an, geht weiter über die doch sehr gewöhnungsbedürftigen klimatischen Bedingungen und endet natürlich damit, tagtäglich mit einer großen Armut konfrontiert zu werden.

Ich blicke also mit großem Respekt und mit Hochachtung darauf, wie sehr die Missionarinnen und Missionare mit dazu beigetragen haben, dass es auch am Amazonas heute einen lebendigen Glauben und einen besseren Lebensstandard gibt. Diese Arbeit ist sicher noch nicht abgeschlossen. Und ich durfte erleben, dass der Bischof von Óbidos, Johannes Bahlmann, der aus unserem Bistum stammt, der richtige Mann am richtigen Ort ist. Er bringt nicht nur die passenden geistlichen Fähigkeiten, sondern auch viel organisatorische Kompetenz mit. So wird er jetzt etwa dafür sorgen, dass ab Mai ein Krankenhaus-Schiff auf dem Amazonas unterwegs sein wird, um die Gesundheitsversorgung der Menschen in abgelegenen Orten zu verbessern. Großartig!

In der Pfarrei Terra Santa am Amazonas haben Sie auch zwei große Gottesdienste mitgefeiert. Was unterscheidet Liturgie in Brasilien von Liturgie in Deutschland?
Es ist dieselbe Liturgie wie bei uns und doch ist sie anders. Die Liturgie ist hier in Brasilien, soweit ich das erlebt habe, viel lebendiger. Die Gottesdienste werden mit großem Schwung gefeiert. Ich habe erlebt, dass die Menschen spürbar große Freude daran haben, miteinander den Glauben zu teilen und zu beten. Sie wirken auch im Gottesdienst froh und zufrieden und das, obwohl sie aufgrund der Armut sicher viele Sorgen haben. Und: alles ist gelassener. Niemand regt sich auf, wenn der Gottesdienst nicht pünktlich beginnt und vielleicht auch etwas länger dauert als erwartet.

Nun haben die Deutschen eine andere Mentalität als die Brasilianer. Können wir dennoch für die Feier von Gottesdiensten etwas von den Brasilianern lernen?
Ja, aber nicht nur für den Gottesdienst, sondern auch für die Seelsorge. Wir können im Gottesdienst und in der Pastoral viel kreativer sein. Das gilt auch für die Frage des Einsatzes von nicht geweihten Frauen und Männern. Hier gibt es in Brasilien kein Kompetenzgerangel, sondern ein gutes Miteinander.

Wie haben Sie dieses Miteinander konkret erlebt?
Es gibt einen spürbaren Elan. Alle fühlen sich gemeinsam mitverantwortlich, den Glauben weiterzugeben. Der Blick, gerade auch der der Bischöfe, ist nicht darauf gerichtet, was nicht geweihte Frauen und Männer vielleicht falsch machen könnten. Diese Perspektive gibt es gar nicht. Stattdessen gibt es ein unbedingtes Zutrauen der Bischöfe in die Ehrenamtlichen und das Ziel, diese bei der Weitergabe des Glaubens zu stärken.

Sie haben die Bischöfe angesprochen. In Brasilia haben Sie am Rande eines Treffens der Bischofskonferenz Gespräche mit mehreren Bischöfen geführt. Vor welchen Herausforderungen steht demnach die brasilianische Kirche?
Das Schönste, was mir ein Bischof zu diesen Herausforderungen gesagt hat, war: Es ist sehr schwer, aber es ist schön. Eine Herausforderung ist dieselbe, vor der wir auch als katholische Kirche in Deutschland stehen: Wie gelingt uns künftig die Glaubensweitergabe, insbesondere in den Familien? Dann ist auch die veränderte politische Situation in Brasilien eine Herausforderung für die Bischöfe. Sie sehen sich hier herausgefordert, sich klug zu verhalten. 

In Porto Alegre haben Sie am Ende Ihrer Reise Gottesdienst mit deutschstämmigen Brasilianern gefeiert. Warum war Ihnen das besonders wichtig?
Ich wurde hierzu eingeladen und habe gerne zugesagt. Ich fand es erstaunlich, dass die Einladenden bei der Terminierung sogar im Blick hatten, dass der Gottesdienst genau zehn Jahre nach meiner Amtseinführung als Bischof von Münster gefeiert werden sollte. Ich habe das so verstanden, dass sie damit ihre Verbundenheit zur Kirche von Münster und ihre Dankbarkeit und Wertschätzung für die vielen Missionarinnen und Missionare aus unserem Bistum zum Ausdruck bringen wollten. Das macht mich ein bisschen stolz.

Nach zwei Wochen Lateinamerika: Was nehmen Sie im Blick auf die Herausforderungen, vor denen die Kirche bei uns steht, mit nach Deutschland?
Ich nehme die Frage mit: Wie können wir dafür sorgen, dass Frauen und Männer, die nicht geweiht sind, in unseren Pfarreien wirkliche Leitungsaufgaben übernehmen? Und wie können wir das damit verbinden, die Berufungspastoral zu stärken, einfach, indem wir junge Männer gezielt ansprechen? Dabei sollten wir das nicht nur als Aufgabe der Priester ansehen, sondern die Gemeinden insgesamt einladen, an der Berufungspastoral mitzuwirken. Es gibt also keinen Gegensatz zwischen einer Stärkung der Ehrenamtlichen und einer Intensivierung der Berufungspastoral.

Ganz zum Schluss bitte ich Sie, die folgenden Halbsätze zu vervollständigen:
Die Reise nach Peru und Brasilien war für mich eine wichtige Erfahrung, weil ... mein Horizont weltkirchlich sehr geweitet und mein Blick auf die eigenen Nöte relativiert wurde.
Die Armut, die ich in Peru und Brasilien gesehen habe,... hat mich überfordert und mich gleichzeitig herausgefordert, künftig auch entwicklungspolitisch die Finger noch stärker in die Wunden zu legen.
Die Gastfreundschaft, die ich in beiden Ländern erleben durfte,... war überwältigend. 
Am meisten freue ich mich, wenn ich wieder in Deutschland bin auf... andere klimatische Lebensbedingungen.

Das Interview führte Dr. Stephan Kronenburg.