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Claudia Nemat spricht über Lehren aus der Corona-Krise

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Die Möglichkeiten, die sich aus der Nutzung digitaler Technologien für eine bessere Zukunft ergeben, hat am 9. September Claudia Nemat, Vorstandsmitglied für Innovation und Technologie bei der Deutschen Telekom AG, im münsterschen St.-Paulus-Dom aufgezeigt. Dort sprach sie in der Veranstaltungsreihe „DomGedanken“ zum Thema „Technologie für eine lebenswerte Zukunft. Was können wir aus der aktuellen Krise lernen.“.

Zu Beginn begrüßte Nemat neben den Zuhörerinnen und Zuhörern im Dom insbesondere auch jene, die über das Internet zugeschaltet waren. „Die letzten Monate und die vielen virtuell stattfindenden Events und Vorträge haben uns gelehrt, besonders an die Menschen vor den Endgeräten zu denken. Technologie macht es möglich, dass alle dabei sein können“, sagte sie. Die Corona-Krise habe „das Leben in allen Bereichen“ erschüttert: „Wir wurden uns unserer eigenen Verletzbarkeit bewusst. Meine 80-jährige Mutter zu umarmen, bereitete mir Sorgen“, sagte Nemat. Auch das Wirtschaftssystem sei im Kleinen wie im Großen massiv erschüttert worden. Als Naturwissenschaftlerin und Physikerin wolle sie einen Beitrag zur Aufklärung im Kontext der Digitalisierung leisten.

Zunächst erläuterte sie, was die Menschen aus der Krise der vergangenen Monate gelernt haben. „Unser privates Leben verschmolz mit der Arbeitswelt. Familien blieben in Verbindung über Videodienste. Dinge, die wir für völlig unmöglich hielten, wurden plötzlich Realität“, erklärte sie und nannte als Beispiele unter anderem Schulunterricht über Videokonferenzen und den Verzicht auf unnötige Geschäftsreisen: „Die Umwelt und auch wir kamen einmal zur Ruhe. Lebenszeit wurde gewonnen.“ Das Digitale sei auf einmal viel mehr selbstverständlich erschienen. Dass die vermehrte Nutzung des Internets funktionierte und die Netze nicht überlastete, sei den Investitionen in der Vergangenheit zu verdanken gewesen, ebenso der flexiblen Arbeitsweise der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Telekommunikationsbranche.

„Krisen können Beschleuniger von Veränderungsprozessen sein. Die Hoffnung jedoch, dass es während einer Krise gelingt, die meist länger bekannten und dringend notwendigen Veränderungen zu vollziehen, gleicht dem Sprung von einer Klippe in der Hoffnung, es würden einem im Fall Flügel wachsen“, warnte Nemat. Versäumnisse der Vergangenheit würden sich in großen Krisen „wie unter einem Brennglas“ zeigen. Für die Zukunft bedeute das unter anderem, dass in „guten Zeiten in Resilienz investiert“ werden müsse, in menschliche Fähigkeiten und Infrastruktur. „Wir können nicht ,auf Kante genäht‘ leben“, sagte Nemat. Gezeigt habe sich aber auch, etwa am Beispiel Homeoffice, dass mehr gehe, als Viele glauben. Technologie müsse unterstützen und dienen, sie dürfe kein Selbstzweck sein.

Im zweiten Teil ihrer Rede erläuterte sie die derzeitigen technologischen Fortschritte, zum Beispiel in der mobilen Datenübertragung, bei der Steigerung der Rechenleistung und der Entwicklung künstlicher Intelligenz (KI). Wie Nemat an Beispielen erläuterte, gibt es bereits einen selbstverständlichen und auch nützlichen Einsatz von KI. „Es bedarf allerdings insgesamt einer bewussten und bewertenden Betrachtung von KI“, betonte sie. „Wahrscheinlich würden die meisten Menschen die Bekämpfung von bislang unheilbaren Krankheiten als ,gut‘ ansehen. Als eher ,schlecht‘ würden viele Menschen die Sammlung von Daten und den Einsatz von KI durch einen Staat bewerten, der ihr Verhalten beobachtet und ihnen bei ,falschem‘ Verhalten Rechte entzieht.“ Der entscheidende Punkt sei, sagte Nemat: „Digitale Technologien sind an sich weder gut noch schlecht. Die wichtige Frage ist, welche Probleme wir lösen wollen. Und welches Wertesystem wir dem zugrunde legen.“

Schließlich wagte das Telekom-Vorstandsmitglied einen Blick in die Zukunft. Digitale Technologien könnten grundsätzlich relevanten Nutzen stiften, wie die Corona-Krise gezeigt habe: „Sie haben uns geholfen, mit unseren Familien, Freunden und Arbeitskollegen verbunden zu bleiben. Zudem können sie in vielen Bereichen unser Leben und unsere Arbeit erleichtern. Sie lassen uns schneller planen, bequemer einkaufen und mit Menschen in der gesamten Welt unsere Erfahrungen teilen.“ Auf der anderen Seite bestehe aber auch die Gefahr, zur „schnelleren Verbreitung von Lügen und Verschwörungsmythen, Manipulationen demokratischer Entscheidungsprozesse und perfektionierte überwachungsstaatliche Kontrolle“ beizutragen. Der verantwortungsvolle Umgang mit Technologie und deren Möglichkeiten beginne im Kleinen, beispielsweise beim persönlichen Datenschutz. „Wir müssen uns stets unserer Verhaltensweisen bewusst sein“, erklärte Nemat.

Die ökologische Zukunft des Planeten sei die größte Herausforderung für diese und kommende Generationen. „Jede Branche, jedes Unternehmen und jeder Konsument sollte sich seines Ressourcenverbrauches bewusst sein. Informations- und Kommunikations-Infrastruktur und steigender Datenverbrauch durch weiter voranschreitende Digitalisierung führen zu höherem Energiebedarf. Darum ist es entscheidend, dass wir künftig überall energieeffiziente Technologien einsetzen.“ KI könne, richtig eingesetzt, dazu beitragen, Serviceleistungen zu demokratisieren, die bislang nur sehr wenigen, wohlhabenden Menschen vorbehalten gewesen seien. Ihre Utopie sei, dass durch den Einsatz der KI künftig mehr Zeit für das Lösen echter Probleme wie etwa der Klimakrise bleibe. Dabei werde empathisches Handeln im Sinne der Nächstenliebe und Mitmenschlichkeit ebenso an Bedeutung gewinnen wie die Bereitschaft zum lebenslangen Lernen. Nemat skizzierte ein „neues Lebensmodell für erwachsene Menschen“: „Statt den größten Teil unserer Zeit mit erwerbstätiger Arbeit zu verbringen, würden wir unsere Zeit der Arbeit, dem Lernen und der empathischen Zuwendung gegenüber unseren Kindern, Verwandten oder der für uns relevanten Community widmen.“ Schließlich sagte sie: „Ich bin der Überzeugung, wenn wir alle zusammen einen Teil umsetzen, dann wird es eine Bewegung geben. Eine Bewegung hin zu einer lebenswerten Zukunft.“

Eine Aufzeichnung des Vortrags ist abrufbar auf dem YouTube-Kanal und der Facebook-Seite des Bistums Münster.

Christian Breuer