DDR-Zeitzeuge in der Friedensschule

, Stadtdekanat Münster

Den Valentinstag 1985 wird Alexander Richter wohl nie vergessen. An diesem Tag kaufte die Bundesrepublik Deutschland den politisch Gefangenen aus der DDR für rund 100.000 D-Mark frei. Mit dem ehemaligen Häftling, der heute in Emsdetten lebt, hatten die rund 150 Schülerinnen und Schüler der Friedensschule in Münster am 10. Dezem-ber einen Zeitzeugen zu Gast. Am bundesweiten „Tag der Menschenrechte“ schilderte der 70-Jährige den Oberstufenschülern der Bischöflichen Gesamtschule seine Erfahrungen mit dem diktatorischen Unrechtsstaat der DDR. Begleitet wurde er von Dr. Frank Hoffmann, der das Zeitzeugenprogramm seitens der Ruhruniversität Bochum betreut.

„Ich bin nach wie vor dafür, gesellschaftliche Missstände nicht unkommentiert ste-hen zu lassen“, betonte Alexander Richter bei seinem Besuch in der Friedensschule.

© Bistum Münster

„Ich war lange überzeugt davon, dass die DDR der bessere Staat ist“, begann Alexander Richter seinen Vortrag. Geboren im Gründungsjahr der DDR, berichtete er den Schülern von seinem Leben: Richter wuchs in Potsdam auf, lernte Maurer, machte das Abitur und studier-te an der Berliner Humboldt-Universität Finanzwirtschaft, um anschließend im Ministerium der Finanzen der DDR zu arbeiten. „Eine Arbeit, die mich nie erfüllt hat“, gestand der 70-Jährige. So begann er nebenbei zu schreiben – Romane, Lyrik, Kurzgeschichten. 

Was seine Zeilen auch enthielten: Kritik an der Ideologie der DDR. „Ich wusste, dass ich das nicht werde veröffentlichen können“, blickt er zurück. Über seine Freundin, die im Westen lebte, versuchte er sein Buch in der Bundesrepublik zu veröffentlichen. Die Staatssicherheit wurde auf ihn aufmerksam, beobachtete seine Wohnung, hörte in ab. „Mir war immer klar, dass die Texte in die Fänge der Stasi gelangen können“, erklärte Richter. Doch auf die Wahrheit verzichten wollte er dafür nicht. „Ich bin nach wie vor dafür, gesellschaftliche Missstände nicht unkommentiert stehen zu lassen“, betonte er.

Am 7. September 1982 wurde er in Potsdam auf offener Straße wegen „staatsfeindlicher Hetze“ verhaftet und zu sechs Jahren Haft verurteilt. Die folgenden drei Jahre bezeichnet Richter als „fürchterlich und menschenunwürdig“. In der Haftanstalt in Brandenburg seien er und die anderen Gefangenen isoliert, schikaniert und erniedrigt worden. „Was wir dort er-lebt haben, hat nichts mit Menschenrechten zu tun“, kritisierte er und nannte Beispiele von Holzpritschen über Filzhausschuhe bis hin zu dünnen Decken. 

Nach zweieinhalb Jahren Haft kam Richter frei. Der DDR-Gefangene war damit einer von rund 33.000 politischen Häftlingen, die die Bundesregierung von 1963 bis 1989 aus DDR-Gefängnissen freikaufte. Im Gegenzug erhielt sie Waren im Wert von drei Milliarden D-Mark. 

Wie wird man zum Staatsfeind, wollte eine Schülerin wissen. „Durch Gehirnwäsche und Kon-trolle der Meinungsfreiheit“, antwortete Richter, bevor er ergänzte: „Man wird durch Zu-schreibung dazu gemacht. Sagen, wie es ist, war verboten.“ Bis heute hat der Emsdettener rund 30 Bücher veröffentlicht. Das Manuskript, das zu seiner Verhaftung führte, liegt unan-getastet in der Schublade. 

„Wir haben den 30. Jahrestag des Mauerfalls zum Anlass genommen, in diesem Jahr am Tag der Menschenrechte über die Situation in der DDR zu sprechen“, erklärte Lehrerin Ina Brod-de, die die Veranstaltung mit ihren Kollegen Claudia Strieter und Leander Vierschilling vor-bereitet hatte. Begleitet wird das Thema derzeit von der Ausstellung „Von der Friedlichen Revolution zur deutschen Einheit“ im Foyer der Schule. Auf 20 Plakaten präsentieren die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und der Beauftragte der Bundesregierung für die neuen Bundesländer Schlaglichter der Jahre 1989/90. 

Ann-Christin Ladermann