„Demokratie braucht Geduld“

, Bistum Münster

Auch wenn es nicht sein eigentliches Thema war, das „chaotische und demütigende Ende“ des Afghanistan-Einsatzes beschäftigt Joachim Gauck in diesen Tagen so sehr, dass der evangelische Theologe und ehemalige Bundespräsident zu Beginn seines Vortrages am 1. September im Rahmen der „DomGedanken“ erst einmal seinen Unmut über das deutsche „Desaster“ am Hindukusch loswerden musste: „Es ist erschütternd, dass eine an Bürokratie und Organisation gewöhnte Regierung nicht in der Lage war, rechtzeitig dafür zu sorgen, dass all diejenigen in Sicherheit gebracht werden, die uns geholfen haben.“ Im zweiten Teil seines Beitrages „Demokratie in Frage? Anmerkungen zur Diagnose und Therapie“ zeigte sich Gauck als leidenschaftlicher Verfechter eines liberalen Wertesystems.

Bundespräsident a.D. Joachim Gauck

Bundespräsident a.D. Joachim Gauck sprach bei den "DomGedanken".

© Bistum Münster

Den Blick auf Afghanistan gerichtet, gestand der ehemalige Bundespräsident, dass er sich als „Liebhaber der Freiheit“ habe täuschen lassen: „Wir haben oftmals nicht wahrgenommen, was sich in den Tiefen des Landes abgespielt hat.“ Afghanistan sei eine realpolitische Niederlage, brachte es Gauck auf den Punkt. Folge dieser Niederlage dürfe es jedoch nicht sein, auf eine kluge Terrorbekämpfung zu verzichten. Die Islamisten seien weiter eine Bedrohung.

Eine wichtige Aufgabe der deutschen Außenpolitik sei es, das Land vor den Gefahren zu schützen. Der frühere Bundespräsident erklärte, dass Deutschland selbstverständlich auf das transatlantische Bündnis mit den USA setze: „Aber wir brauchen in Deutschland und Europa auch mehr Eigenverantwortung im sicherheitspolitischen Bereich.“ Dazu, sagte Gauck, brauche es Politikerinnen und Politiker, die bereit zu schnellen Entscheidungen sind. In diesem Zusammenhang forderte er auch mehr Unterstützung für das Militär: „Mir fehlt in Deutschland das Interesse an der Arbeit der Soldatinnen und Soldaten.“ Eine Demokratie müsse sich verteidigen können, erklärte der ehemalige Bundespräsident und fügte gleich noch ein emotionales Plädoyer an: „Die Demokratie ist so kostbar und wertvoll. Was man schätzt und liebt, muss man doch verteidigen.“

Sei der Rückzug aus Afghanistan auch gleichzeitig ein Abschied von gemeinsamen Werten und demokratische Zielvorstellungen? „Für mich gibt es überhaupt keinen Zweifel, das Afghanistan-Debakel nimmt uns nicht die Richtschnur, die uns durch unsere wertemäßige, demokratische Ordnung vorgegeben ist.“ Keine andere Ordnung habe Völkern mehr Hoffnung gebracht als die Demokratie.

Für Gauck ist es unverständlich, dass andere Systeme die gleiche Legitimation bekommen wie die Demokratie: „Genauso unverständlich ist es für mich, wenn behauptet wird, dass liberale Werte nur im Westen umzusetzen sind. Das stimmt nicht.“ Menschenrechte, so der frühere Bundespräsident, hätten universellen Charakter und Anspruch.

Die Strahlkraft der Demokratie, räumte Gauck ein, habe aber durchaus abgenommen. In der Demokratie dauere das Regieren systembedingt länger, weil niemand von oben etwas anordnen könne: „Aber dafür haben wir eine größere Legitimität der Entscheidungen“, stellte er klar. Insbesondere an den Rändern der Gesellschaft sei allerdings die Skepsis gegenüber der Demokratie gewachsen. Regierungshandeln erscheine manchmal behäbig, träge und nicht entschlossen genug.

Gauck warnte vor rechten Populisten, die so tun, als seien sie die Vertreter des Volkes. In allen europäischen Ländern gebe es inzwischen entsprechende Bewegungen. In Wirklichkeit repräsentierten sie aber nur eine Minderheit der Bevölkerung. „Die bürgerliche Mitte darf sich nicht zu früh ins Bockshorn jagen lassen.“ Es dürfe nicht geschwiegen werden, wenn vor allem im Netz Hass gegen die Demokratie vorangetrieben würde.

Gleichzeitig forderte der frühere Bundespräsident, auch mit denen zu diskutieren und zu streiten, die eine andere politische Meinung haben: „Du kannst nicht nur tolerieren, was dir sympathisch ist.“ So lange Menschen die demokratische Grundordnung nicht aktiv bekämpften, seien sie Teil der Gesellschaft. Es sei außerdem legitim, von der Regierung Führungsstärke zu erwarten. Wer nach einer Regierung suche, bei der erkennbar geführt werde, suche nicht automatisch nach einem totalitären Führerstaat, differenzierte Gauck.

Abschließend appellierte er noch einmal an die Toleranz aller, die Gesellschaft mit Respekt zusammenzuhalten: „Das ist ein Gebot politischer Vernunft.“ Nur Intoleranz sei nicht zu tolerieren.

Domkapitular Hans-Bernd Köppen hatte zu Beginn im Namen des Domkapitels als Veranstalter die Teilnehmenden begrüßt. Der Mädchenchor am Dom begleitete den Abend unter der Leitung von Domkantorin Verena Schürmann musikalisch.

Zum Abschluss der „DomGedanken“-Reihe spricht am 8. September der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn über „Demokratie – das Fundament Europas. Anmerkungen zur Kraft freiheitlicher Staatsformen“. Die Veranstaltung ist bereits ausgebucht. Das Bistum Münster überträgt die „DomGedanken“ jedoch live im Internet unter www.bistum-muenster.de , www.paulusdom.de sowie auf der Facebook-Seite und auf dem Youtube-Kanal des Bistums Münster.

Gudrun Niewöhner