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Ein offenes Ohr für Pfarreimitglieder und Strafgefangene

Vom alten Rheindeich aus wirkt es fast so, als könne der Blick unendlich über die Landschaft schweifen und sich dann irgendwo am Horizont verlieren. Saftig-grüne Wiesen, der Rhein, in der Ferne die Emmericher Brücke vermitteln ein Gefühl von Weite. Jeden Tag kann Reiner Rosenberg diesen Ausblick genießen – zumindest, bis er bei seiner Arbeitsstelle angekommen ist. Dann bestimmen Gitter und hohe Mauern das Bild.

Rosenberg, 61 Jahre alt, ist Pastoralreferent und arbeitet als katholischer Seelsorger in der Klever Justizvollzugsanstalt. Er hört sich die Probleme und Sorgen der Gefangenen an, redet mit ihnen über Gott und den Glauben, aber auch über die Familie und Zukunftsängste. „Ich erlebe bei vielen eine große Bereitschaft, sich zu öffnen“, beschreibt Rosenberg seine Treffen mit den Häftlingen, von denen er sagt: „Das sind alles Menschen, die auch so gesehen werden möchten.“

Seit vier Jahrzehnten arbeitet Rosenberg nun schon in der Seelsorge – dass er zum Ende seines Berufslebens im Gefängnis arbeiten würde, konnte er sich selbst lange nicht vorstellen. „Dieser Beruf bietet ein so großes Spektrum von Einsatzmöglichkeiten und eine Fülle von Aufgaben“, blickt er auf die vergangenen 40 Jahre zurück. Zwar absolvierte er nach der Schule noch eine Ausbildung zum Garten- und Landschaftsbauer, doch schon damals, als er noch in Reichswalde wohnte, war ihm klar, dass er Pastoralreferent werden wolle. „Das fand ich reizvoll“, erinnert sich Rosenberg. Schließlich sei er mit der Kirche groß geworden, war Mitglied im Pfarrgemeinderat und aktiv in der Christlichen Arbeiterjugend (CAJ).

Mit 21 Jahren wurde der Jugendverband sein Arbeitgeber, er zog als CAJ-Sekretär nach Warendorf. „Das war eine gute Teststrecke für mich, ob ich im kirchlichen Bereich arbeiten will und kann“, blickt Rosenberg zurück. Die Zeit prägte sein positives Bild von Kirche bis heute: „Ich erlebe eine große Solidarität untereinander und die Bereitschaft, sich zu öffnen.“

In dieser Zeit lernte er auch seine Frau kennen, mit der er mittlerweile drei Kinder großgezogen hat – und die sich mit ihm freut, wenn die Enkelkinder durch das Haus am Rheindeich toben. Rosenberg entschied sich, seinen alten Traum zu verwirklichen und begann seine Ausbildung zum Pastoralreferenten. Der Weg führte ihn als Pastoralassistent nach Rheinberg und Uedem. „Das war manchmal schon schwierig, nach der Arbeit in der CAJ wieder in die Strukturen der Pfarreien vor Ort zu kommen“, gibt er mit einem Schmunzeln zu.

Für seine erste Stelle als Pastoralreferent ging er 1987 nach St. Josef Borken, aus familiären Gründen stand schon bald die Rückkehr an den Niederrhein fest. Dort lernte er die ganze Bandbreite der Möglichkeiten seines Berufes kennen. Mit einer halben Stelle war er für die Pfarrei in Materborn zuständig, mit zehn Wochenstunden gestaltete er die offene Jugendarbeit in Griethausen. Es folgten Einsätze im Haus der Familie in Emmerich, die Arbeit als Pastoralreferent in der Seelsorgeeinheit Heilige Dreifaltigkeit in Kellen, Griethausen und Warbeyen. Jugendarbeit, Gottesdienste planen, Kinder auf die Erstkommunion vorbereiten, als Ansprechpartner für die Menschen in der Gemeinde zur Verfügung stehen und die Mitarbeit in der Pastoralberatung des Bistums, das bestimmte seinen Alltag.

Ein Alltag, an den er sich gerne erinnert – und der dann doch Geschichte war, als er vor sieben Jahren gefragt wurde, ob er Seelsorger im Gefängnis werden wolle. „Bis dahin hatte ich das für mich ausgeschlossen“, gibt Rosenberg unumwunden zu. Doch die Begleitung eines Kollegen in der LVR-Klinik öffnete ihm die Augen. „Warum sollte ich vor der Aufgabe Angst haben?“, habe er sich damals gefragt. Und schließlich zugesagt.

Die Arbeit unterscheide sich von den Aufgaben in der Pfarrei deutlich, sagt Rosenberg lachend: „Es geht damit los, dass ich mich im Gefängnis gar nicht groß vorstellen musste. Die Insassen sind es gewohnt, immer wieder neue Leute kennenzulernen, die für sie zuständig sind. Und durch Verlegungen und Entlassungen gibt es eine hohe Fluktuation. Schon sehr schnell fanden sich die ersten Anfragen für Gespräche in meinem Briefkasten.“ Als Seelsorger steht er unter Schweigepflicht, das helfe vielen Gefangenen, sich zu öffnen. „Ich habe hier viel über existenzielle Not erfahren, und Geschichten gehört, wie die Menschen so weit gekommen sind, im Gefängnis zu sein.“ Rechtfertigen wolle sich kaum ein Häftling, ob alle Geschichten so stimmen, weiß Rosenberg nicht. „Die Gefangenenakte lese ich nicht, weil ich offen und ohne Vorurteile in das Gespräch gehen möchte“, betont er.

Wenn er dann nach Hause geht, kann er meist recht gut abschalten, sagt Rosenberg. Außerdem nutzt er die Möglichkeit, sich mit Kollegen auszutauschen und jedes Jahr für eine Woche Exerzitien zu gehen. „Im Laufe der Jahre habe ich immer wieder neue Aspekte meiner Arbeit als Pastoralreferent kennengelernt. Und ich habe noch nicht einen Tag bereut, mich für diesen Beruf entschieden zu haben“, sagt Rosenberg voll Überzeugung.

Christian Breuer