Der Begriff der Heimat stehe für Verbundenheit, aber er spalte auch oft. Die Deutungshoheit dürfe nicht den Rechtspopulisten und Nationalisten überlassen werden. „Ich glaube, dass Weltoffenheit einerseits und Heimatverbundenheit andererseits zusammengehören. Die Zukunft Europas liegt aber nicht in der Überwindung nationaler Heimatverbundenheit, sondern in der Pflege heimatlicher Bindungen und in der Fähigkeit zur Verständigung über Grenzen und Unterschiede hinweg“, sagte die 57-jährige gebürtige Münsteranerin. Denn Heimat sei mehr als Herkunft: Heimat sei dort, wo „ich verstehe und verstanden werde“, zitierte die Staatsministerin den Philosophen Karl Jaspers.
Die Europäer hätten es nach dem Leid zweier Weltkriege und der nationalsozialistischen Barbarei geschafft, „das Gemeinsame über das Trennende zu stellen und eben dadurch unterschiedlichen Kulturen und Religionen, Weltanschauungen und Lebensentwürfen doch eine Heimat Europa zu geben“. Diese Einheit in Vielfalt durch Verständigung mache Europa und den Frieden in Europa im Kern aus. „Europas Puls schlägt laut und kräftig, wo die Herzen der Europäer für Europa schlagen“, sagte Grütters. Das hänge letztlich auch nicht von der Höhe der Agrarsubventionen oder den Details des Urheberrechts ab. Es sei vielmehr die gemeinsame Kultur, die die Herzen höher schlagen lasse. „Was Europa im Kern ausmacht ist die Kultur der Offenheit für Vielfalt.“
Diese gemeinsame Kultur der Offenheit habe aber auch ihre Schattenseiten. „Sie kann ebenso beängstigend und zerstörend als auch inspirierend und bereichernd sein. Vielfalt bleibt immer eine Herausforderung“, hielt Grütters fest. Zukunft brauche Herkunft. „Es geht darum, kulturelle Selbstvergewisserung und Weltoffenheit zu fördern. Nur wer das eigene kennt und wertschätzt, kann auch dem zunächst Fremden Raum geben, ohne sich bedroht zu fühlen. Darum braucht Zukunft Herkunft“, betonte die Politikerin. Gerade Kunst und Kultur könnten zur Antwort auf die Frage „Wer bin ich?“ und zur Auseinandersetzung mit der eigenen Identität in besonderer Weise beitragen und damit Verständnis und Verständigung befördern. Dieses Potenzial zur Entfaltung zu bringen, sei ihr ein kulturpolitisches Herzensanliegen.
„Für ein Europa der Vielfalt brauchen wir nicht nur die Kunst der Diplomatie, sondern auch die Diplomatie der Kunst. So führt Kultur, Weltläufigkeit und Heimat in eins. Heimat ist nicht vergangene Idylle, sondern Utopie, Zuversicht für die Zukunft“, sagte Grütters zum Ende ihres Vortrages. Dazu brauche es politische Rahmenbedingungen, die die Freiheit der Kunst und damit die kulturelle Vielfalt garantieren.
Am kommenden Mittwoch, 21. August, ist Prof. Dr. Andreas Rödder im St.-Paulus-Dom in Münster zu Gast. Er spricht um 18.30 Uhr über „Europa: Eine historische Bestandsaufnahme und ihre aktuellen Folgen“.
Text: Michaela Kiepe/Foto: Kerstin Bücker