Gegenstände erzählen von ertrunkenen Flüchtlingen

, Stadtdekanat Münster

Ein Handschuh mit einem Aufdruck der US-Basketball-Liga, ein Brustbeutel mit Geld und Medikamenten, ein Rosenkranz: In der Überwasserkirche in Münster bekommen namenlose Migranten, die im Mittelmeer ertrunken sind, wieder eine Identität. Mit Fotografien zeigt die Ausstellung „Der letzte Besitz“ wortwörtlich den letzten Besitz Ertrunkener aus einem Wrack im Mittelmeer. Der Italiener Mattia Balsamini hat die Gegenstände in Szene gesetzt, die Verantwortlichen der Flüchtlingsinitiative Coesfeld und der Caritas Münster bringen sie mit Unterstützung des Stadtdekanats Münster in den Kirchenraum – und damit zurück in die Köpfe der Menschen. Am 8. September wurde die Ausstellung eröffnet, begleitet mit Liedern von der Sängerin und Stimmkünstlerin Cora Schmeiser.

„Wir laden die Besucherinnen und Besucher ein, sich von den Fotos berühren zu lassen.“: (von links) Alfons Rensing, Vertreter der Pfarrei Liebfrauen-Überwasser, Paul Joachim Müller, Flüchtlingsinitiative Coesfeld, Stadtdechant Jörg Hagemann und Thomas Schlickum, Caritasverband Münster.

© Bistum Münster

„Es war ein Zufallsfund im Magazin der Süddeutschen Zeitung“, berichtet Ludger Schulte-Roling von der Flüchtlingsinitiative Coesfeld. 2015 war die „Barca Nostra“ mit 700 Menschen an Bord gesunken, 2016 wurde das Schiff gehoben. Der Fotograf Balsamini hatte Fotos in Zusammenarbeit mit dem forensischen Institut der Universität Mailand von Gegenständen, die die Geflüchteten bei sich trugen, gemacht, die Süddeutsche Zeitung hatte sie im Mai 2019 abgedruckt. „Diese Gegenstände verraten keine Namen, aber sie erzählen von den Ertrunkenen“, betont Paul Joachim Müller, ebenfalls bei der Flüchtlingsinitiative Coesfeld engagiert. Er und seine Kollegen nahmen Kontakt mit den Redakteuren der SZ und dem Fotografen auf, lieferten letzterem ein Ausstellungskonzept – und freuten sich über seine Zusage. Im November 2019 feierte die Ausstellung in der Jakobikirche in Coesfeld Premiere, bis Freitag, 23. Oktober, sind die 16 Fotos der Habseligkeiten der ertrunkenen Flüchtlinge nun in der Überwasserkirche zu sehen.

„Uns geht es in der Ausstellung darum, in Begegnung mit den Geflüchteten selbst zu kommen“, erklärt Schulte-Roling. Die Ausstellung erzähle „eine Hoffnungsgeschichte“, die im direkten Bezug zwar gescheitert sei, aber durch den Besuch von Menschen, die sich von den Schicksalen berühren ließen, weitergeschrieben werden könne. Aus nahezu jedem Bild spreche die Trauer um die verlorene Heimat, ergänzt Müller. „In einer Tasche wurden zwei Säckchen Heimaterde gefunden. Das rührt fast zu Tränen, weil man darin die Hoffnung auf eine bessere Zukunft, aber auch die starke Heimatverbundenheit erkennt.“ Der Ehrenamtliche gibt der Politik die Schuld, die Situation der Flüchtlinge nicht gelöst zu haben. Noch immer würden Menschen auf ihrer Flucht im Mittelmeer ertrinken. „Wir möchten den Menschen mit der Ausstellung diese Realität in Erinnerung rufen und dazu auffordern, dagegen einzutreten“, betont Müller.

Jörg Hagemann, katholischer Stadtdechant, und Thomas Schlickum, Vorstand der Caritas Münster, appellierten ebenfalls an die Besucherinnen und Besucher, sich von den „sprechenden Fotos“ berühren zu lassen. „Die Fotos erzählen von den Hoffnungen, mit denen die Menschen in das Schiff gestiegen sind“, sagte Schlickum. Hagemann ergänzte: „Sie wurden mitten in dieser Hoffnung aus dem Leben gerissen, aber wir können uns darauf einlassen und so die Hoffnung weitertragen, auch in der Begegnung mit anderen Geflüchteten in unserem Umfeld.“

Die Ausstellung endet am Freitag, 23. Oktober, um 20 Uhr mit einem Vortrag von Martin Kolek von der Crew der „Sea Watch“. Er spricht über den Tod im Meer und den Umgang mit der Erinnerungskultur.

Ann-Christin Ladermann