Gespräch mit Peter Kossen wird in Warendorf nachgeholt

, Kreisdekanat Warendorf

„,Billig! Billig! Billig!‘ hat einen hohen Preis.“ Dieser Gedanke kommt Pfarrer Peter Kossen, wenn er durch den Supermarkt geht und die unschlagbar günstigen Angebote für Grillfleisch sieht. Der Lengericher Pfarrer prangert schon seit vielen Jahren die unmenschlichen Zustände vor allem in der Fleischindustrie an. Er weiß: „Den Preis für die billigen Lebensmittel bezahlen die Landwirte mit ihrer Existenz, die Rumänen und Bulgaren mit ihrer Gesundheit und die Natur mit der Artenvielfalt und dem ökologischen Gleichgewicht.“ Seit sich an mehreren Standorten, unter anderem in einer Großschlachterei in Coesfeld, mehrere hundert Leiharbeiter mit dem Coronavirus infiziert haben, ist das Thema deutschlandweit in den Fokus gerückt.

Das „Haus der Familie“ in Warendorf hatte die Situation der Arbeitsmigranten und das damit verbundene Engagement von Pfarrer Kossen schon weit vor der Corona-Pandemie im Blick. Am 14. Mai sollte Kossen in der katholischen Familienbildungsstätte zu Gast sein und über Hintergründe und Erfahrungen mit menschenunwürdigen Arbeitsverhältnissen sprechen. „Corona-bedingt musste der Abend, den wir im Rahmen unseres Schwerpunktthemas Schöpfungsbewahrung und Nachhaltigkeit geplant hatten, leider ausfallen“, erklärt Stefanie Pfennig, Bildungsreferentin im Haus der Familie. Doch ein Nachholtermin steht schon fest: Am 18. März 2021 wird Kossen nach Warendorf kommen.

Pfarrer Peter Kossen

Pfarrer Peter Kossen aus Lengerich

© Bistum Münster

Seit langem richtet sich der Appell des Pfarrers auch an die Verbraucher: „Ohne Maßhalten und Selbstbegrenzung verkommt der Mensch und die Gesellschaft.“ Es könne nicht richtig sein, dass das Kilo Klopapier teurer sei als das Kilo Fleisch. „Aber es ist so“, kritisiert er, „das wertvolle und aufwendig produzierte Gut Fleisch wird bei uns unter Wert verschleudert.“ Doch dabei gehe es auch um Menschenleben, um Würde und Gerechtigkeit. Werkverträge und Leiharbeit seien in der Fleischindustrie und auch in der Logistik das Mittel, „um Arbeitskräfte wie Verschleißmaterial behandeln“ zu können. „Harte Arbeit unter extremen Bedingungen zwölf Stunden am Tag, sechs Tage die Woche lässt die Menschen nach wenigen Jahren als körperliche und seelische Krüppel zurück“, verdeutlicht Kossen. 

Zusammen mit Fachleuten und Engagierten hat er in Lengerich einen Verein zur Unterstützung von Arbeitsmigranten aus Ost- und Südosteuropa gegründet. „Wir wollen diese Menschen stark machen und so dazu beitragen, dass ihre Integration gelingt“, erklärt er. Durch ein Netzwerk von Juristen und juristisch geschulten Ehrenamtlichen solle der Rechtsweg für die Zielgruppe leichter zugänglich gemacht werden. „Wenn sie es wollen, stellen wir ihnen einen Anwalt zur Seite“, sagt Kossen. Gleichzeitig strebe der Verein ein Netzwerk von Unterstützern vor Ort an, um Kontakt zu Betroffenen zu ermöglichen und Hilfe in akuter Not zu gewährleisten. „Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter können ‚Türöffner‘ sein zu Institutionen, Behörden und weiteren Beratungsangeboten.“

Als einen „wichtigen Schritt und einen Anfang“ bezeichnet der Pfarrer den politischen Beschluss, Werkverträge und Leiharbeit ab 2021 zu verbieten. „Mit einer Festanstellung kommen die Arbeitsmigranten jetzt in den ‚Radar‘ gesetzlicher Arbeitsschutzbestimmungen“, stimmt ihn die Änderung positiv. Doch das reiche nicht aus. Seine Forderungen gehen weiter: Für verbesserte Bedingungen fordert Kossen „gleichen Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort“, ein „Zurück zur Stammbelegschaft“ und verstärkte Kontrollen durch die Behörden. Auch müssten Arbeitsmigranten die Möglichkeit bekommen, an Sprachkursen und Integrationsangeboten teilzunehmen. „Unverzichtbar sind außerdem menschenwürdige, bezahlbare Wohnungen und bis auf weiteres regelmäßige Corona-Tests“, fordert Kossen.

Als katholische Einrichtung ist es dem „Haus der Familie“ wichtig, – unabhängig von konkreten Anlässen wie beispielsweise der Corona-Pandemie –, auf gesellschaftliche Missstände hinzuweisen. „Von seiner eigenen Hände oder Geistes Arbeit den Lebensunterhalt für sich und seine Familie sicherstellen zu können, gehört unabdingbar zur Würde des Menschen“, betont Stefanie Pfennig. Doch oft werde die Menschenwürde, insbesondere die von Arbeitsmigranten aus Osteuropa in der globalisierten Gesellschaft, „auch bei uns im Münsterland, mit Füßen getreten“. Die Bildungsreferentin freut sich darum schon jetzt auf den Vortrag von Pfarrer Kossen im „Haus der Familie“. „Ich bin gespannt, ob unsere Gesellschaft dann – ein Jahr nach dem Corona-Shutdown – ein nachhaltig anderes Verhältnis zu den systemrelevanten Berufsgruppen, die bislang nicht im Blickfeld waren, entwickelt haben wird.“

Bildunterschrift: Mit Plakaten protestierte Pfarrer Peter Kossen (links) aus Lengerich vor gut zwei Wochen vor dem Werkstor einer Großschlachterei in Coesfeld gegen die Arbeits- und Wohnsituation der Leiharbeiter. Von ihnen hatten sich allein am Standort Coesfeld fast 200 mit dem Corona-Virus infiziert. (Foto: Bischöfliche Pressestelle/Gudrun Niewöhner)

Ann-Christin Ladermann