Großbölting stellt Missbrauchsstudie vor

, Kreisdekanat Borken

Pfarreien wie die in Rhede und Bocholt würde sich Prof. Thomas Großbölting mehr wünschen. Der Historiker, der die Studie zum sexuellen Kindesmissbrauch im Bistum Münster wissenschaftlich geleitet hat, bezeichnete sie beispielhaft als „gallische Dörfer“, in denen „unbeugsam“ der Missbrauch in der katholischen Kirche aufgearbeitet werde. Seine zentralen Forschungsergebnisse hat Großbölting am 8. September unter dem Titel „Macht und sexueller Missbrauch in der Kirche“ auf Einladung der Pfarreien St. Gudula, Rhede, und Liebfrauen, Bocholt, sowie der Selbsthilfe Rhede mehr als 200 Interessierten im St.-Josef-Gymnasium in Bocholt vorgestellt.

Infoabend zum Missbrauch in Bocholt mit vielen Teilnehmenden.

Viele Interessierte waren zum Vortrag ins St.-Josef-Gymnasium gekommen.

© Bistum Münster

Diese Verbrechen an Kindern habe es nicht nur in Rhede und Bocholt gegeben, „diese Straftaten waren übers gesamte Bistum verteilt“. An den Beispielen von strafrechtlich verurteilten Priestern, die im Dekanat Bocholt tätig war, beleuchtete Großbölting, welche persönlichen und strukturellen Fehler in der Kirche dazu führten, dass Täter, manche davon Serientäter, lange ungestraft davonkamen und oft weiter in der Seelsorge eingesetzt wurden. In einem Fall gebe es bislang 21 Betroffene – „wir gehen aber von einer hohen Dunkelziffer aus“, erklärte der Wissenschaftler.

Besonders an Bischof Reinhard Lettmann übte Großbölting Kritik. Er habe das Geschehene bewusst vertuscht und seine Mitbrüder ohne weitere Konsequenzen in andere Pfarreien versetzt. „Die Bischöfe haben so gehandelt, weil sie so handeln wollten“, zeigte sich der Historiker überzeugt. Allerdings, räumte er ein, Vertuschung gebe es nicht allein in der Bistumsleitung: „In vielen der Gemeinden waren die Vorfälle ein offenes Geheimnis.“

Anfang der 2000-er Jahre habe sich der Umgang mit sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche geändert. Großbölting erkennt deutliche Fortschritte bis hin zum heutigen Null-Toleranz-Prinzip, das im Bistum Münster gilt.

Die von ihm geleitete Forschungsgruppe habe unabhängig arbeiten können, betonte er in Bocholt. Die Zusammenarbeit mit dem Bistum sei sehr kooperativ gewesen, „wir hatten die volle Akteneinsicht“.

Machtstrukturen und Abhängigkeitsverhältnisse begünstigten Missbrauch, erklärte Großbölting. Deshalb erwarte er Konsequenzen und Maßnahmen aus den Ergebnissen der Studie. Bislang sei zu wenig passiert, so seine Sicht. Man dürfe nun nicht stehenbleiben und in der Situation verharren, die eigentliche Aufarbeitung fange jetzt erst an. Dem Mut und der Beharrlichkeit von Betroffenen sei es zu verdanken, dass das Thema endlich in den Fokus genommen und in die Öffentlichkeit getragen werde.

Nach dem Vortrag hatten die Teilnehmenden die Gelegenheit zu einem Gruppendialog, in dem das Gehörte nachklang. Prof. Sarah Yvonne Brandl von der Katholischen Hochschule in Münster moderierte den Austausch, in dem noch einmal deutlich wurde, wie groß das Entsetzen über die Verbrechen an Kindern und Schutzbefohlenen ist – und gleichzeitig wie unverständlich das Verhalten der Priester und Bischöfe. Brandle fasste abschließend zusammen: „Die wissenschaftliche Faktenlage zum sexuellen Missbrauch im Bistum Münster erfordert weitere Schritte als Ergänzung: Ein Teil des Aufarbeitungsprozesses ist der Dialog über das Geschehene. Es ist wichtig, dass die historischen Fakten Teil eines kollektiven Bearbeitungsprozesses werden. Denn der Missbrauch im vorliegenden institutionellen Ausmaß braucht soziale Stimmen, die das Geschehene bezeugen und damit das Unrecht anerkennen.“

Gudrun Niewöhner