"Ich leben meinen Traum"

, Kreisdekanat Warendorf

Ein kurzes Klopfen, dann tritt Ali Alkarawi selbstsicher ins Patientenzimmer. „Darf ich bei Ihnen schon abräumen?“, fragt er den Mann, der im Bett am Fenster liegt. „Zu Ihnen komme ich gleich nochmal zum Blutdruckmessen“, kündigt er dem Bettnachbarn mit einem freundlichen Lächeln an. Noch vor einem Jahr hätte sich der 24-Jährige dabei nicht wohlgefühlt. Auf Menschen zugehen, sie ansprechen – all das fiel dem damals schüchternen jungen Mann aus dem Irak schwer. Das Freiwillige Soziale Jahr (FSJ) im St.-Franziskus-Hospital in Ahlen hat ihn verändert. „Ich bin offener, selbstbewusster geworden“, weiß er. Am 29. Juli endet sein FSJ, das er über das Bistum Münster macht, doch es ist kein Abschied für immer: Am 1. Oktober beginnt Alkarawi eine Ausbildung zum Gesundheits- und Krankenpfleger im Ahlener Krankenhaus.

Ali Alkarawi räumt leere Essentabletts in den Wagen.

Ein Jahr lang hat Ali Alkarawi über das Bistum Münster einen Freiwilligendienst im St.-Franziskus-Hospital in Ahlen absolviert. Für ihn war das Jahr ein Türöffner.

© Bistum Münster

Ali Alkarawi zieht sich einen grünen Kittel über und legt einen Mundschutz an.

Die Aufgaben des Irakers sind vielfältig: Auch bei der Pflege unterstützt er seine Kolleginnen und Kollegen, wie hier bei einem Patienten, der isoliert liegen muss.

© Bistum Münster

Dass er so weit gekommen ist, ist für den Iraker, der vor knapp vier Jahren als Flüchtling nach Ennigerloh kam, nicht selbstverständlich. „Ich bin auch etwas stolz auf mich“, sagt er mit einem verlegenen Lächeln. In seiner Heimatstadt nahe Bagdad besuchte er die Schule, stand kurz vor dem Abitur. „Am ersten Tag der Prüfungen ging es nicht mehr. Ich musste fliehen“, blickt er zurück. Darüber sprechen möchte er nicht. Seine Familie – Mutter und Vater, zwei ältere und zwei jüngere Brüder – blieb im Irak zurück. Elf Tage war Alkarawi unterwegs, bis er in München ankam. Von dort ging es weiter nach Dortmund, schließlich nach Ennigerloh, wo er heute in einer Wohngemeinschaft mit drei weiteren jungen Männern lebt. „Neue Sprache, neue Kultur – es war alles neu“, erinnert er sich an eine schwierige Zeit. 

Nach einem Deutschkursus machte Alkarawi ein Praktikum in der Großküche. „Aber Kochen ist nicht meins“, stellte er schnell fest. Ein dreiwöchiges Praktikum im Ennigerloher Altenheim gefiel ihm dagegen sehr. Ein halbes Jahr arbeitete er anschließend auf der neurologischen Station 1B im St.-Franziskus-Hospital mit. „Das war ein großes Glück für mich“, sagt der 24-Jährige. Von einer Bekannten erfuhr er von der Möglichkeit eines FSJ im Bistum Münster. Er bewarb sich bei der FSD, der „Freiwillige Soziale Dienste Bistum Münster gGmbH“, und bekam seine Wunsch-Einsatzstelle: die ihm bereits vertraute Station 1B.

Blutzuckerspiegel und Blutdruck messen, Essen verteilen und anreichen, die Kolleginnen und Kollegen in der Pflege unterstützen, Patienten zu Untersuchungen begleiten – mit all diesen und weiteren Aufgaben sind Alkarawis Früh- und Spätdienste seit einem Jahr gefüllt. Was er am liebsten macht, kann er nicht sagen: „Mir macht alles Spaß“, sagt er. Längst sind die Kollegen zu einer Familie für ihn geworden. „Die Menschen hier gehen sehr gut mit mir um. Sie sind interessiert und helfen mir“, sagt der Iraker. So waren es die Kollegen, die ihm das deutsche Gesundheitssystem erklärten und ihm medizinische Vokalen beibrachten.

Mit Wertschätzung begegnen ihm auch die Patienten – selbst wenn sie nicht jedes Wort beim ersten Mal verstehen. „Du bist mein Enkel, nur mit schwarzen Haaren“, habe einmal eine liebenswerte, ältere Dame zu ihm gesagt, erinnert sich Alkarawi schmunzelnd. „Und manchmal sagen Patienten auch, dass ich goldene Finger habe“, erzählt er, wenn er den Älteren mit wenigen Handgriffen mal wieder das Fernsehgerät oder das Telefon erklärt. 

Am liebsten übernimmt der 24-Jährige Frühdienste. „Dann habe ich noch etwas vom Tag.“ Denn auch der Arbeitsweg kostet ihn viel Zeit. Für die 17 Kilometer muss er mit Bus und Bahn pro Strecke mehr als eine Stunde einplanen. Bei Wochenenddiensten – jedes zweite Wochenende – noch länger. Dann fährt von Ennigerloh bis Neubeckum kein Bus. Alkarawi läuft deshalb bis Neubeckum zu Fuß, steigt dann in den Bus. „Das ist in Ordnung, ich bin gerne zu Fuß unterwegs“, sagt er bescheiden. Auch wenn er mit dem Führerschein schon angefangen hat: Bis er ihn in den Händen halten kann, wird noch einige Zeit vergehen. „In Deutschland ist das sehr teuer. Ich muss noch sparen“, sagt er. 

Die freien Wochenenden verbringt Alkarawi in Münster. „Ich liebe Münster“, sagt er strahlend. „Es gibt so viele Möglichkeiten dort.“ Dann trifft er sich auch mit seinen Freunden, die er in den Seminaren während des FSJ kennengelernt hat. „Wir sind eine tolle Truppe, haben viel gelernt und dabei auch viel Spaß gehabt“, denkt er gerne an die fünf Seminarwochen zurück. Für Alkarawi war sein FSJ ein Türöffner: „Viele träumen ihr Leben, aber ich lebe meinen Traum“, sagt er. Seine Wünsche, wenn er an die Zukunft denkt: „Einen guten Start in der Ausbildung und ein Wiedersehen mit meiner Familie.“ 

Mehr Informationen zum FSJ über das Bistum Münster gibt es im Internet unter www.fsd-muenster.de.

Ann-Christin Ladermann