"Jeder von uns leistet viel"

, Bistum Münster

Bereits vor mehreren Monaten hat sich Klaus-Peter Bomba diesen Tag in seinem Kalender notiert. Der „Studientag Behinderung und Glaube“ ist seit vergangenem Jahr, als er zum ersten Mal in Münster mit dabei war, zu einem Pflichttermin geworden. „Die Atmosphäre hier ist schön, ein besonderer Tag für uns“, sagt er. Mit „uns“ meint er Menschen mit Behinderung, die an diesem Tag in der katholischen Akademie Franz Hitze Haus im Mittelpunkt stehen.

Dr. Norbert Köster

Der frühere Generalvikar und Kirchenhistoriker Dr. Norbert Köster sprach über den Wandel des Leistungsbegriffs in der Geschichte.

© Bistum Münster

Bomba lebt im Elisabeth-Haus in Ennigerloh. Die Einrichtung gehört zum Christopherus-Haus, wo Menschen mit Behinderungen wohnen. Renata Kowalczyk, seelsorgliche Begleiterin in der Einrichtung, ist beim Studientag immer an der Seite der acht Bewohnerinnen und Bewohner aus Ennigerloh: „Ich konnte so viele mitnehmen, wie unser Bulli Plätze hat“, sagt sie lachend. Und die waren schnell vergeben. „Zum Teil haben wir Bewohner, die schon drei, vier Mal dabei waren – und immer wieder gerne herkommen“, berichtet Renata Kowalczyk. Mit den Bewohnern feiert sie nicht nur regelmäßig Wortgottesdienste, sondern pilgert auch nach Telgte, fährt zu Katholikentagen – und eben zum „Studientag Behinderung und Glaube“ nach Münster. Der steht in diesem Jahr unter der Überschrift „Leistung und Inklusion – ein Widerspruch?“ und wird vom Franz Hitze Haus in Zusammenarbeit mit dem Referat Seelsorge für Menschen mit Behinderung im Bistum Münster und dem Diözesancaritasverband veranstaltet. 

Doch bevor es inhaltlich wird, feiern die rund 120 Menschen mit und ohne Behinderung aus dem ganzen Bistum einen Gottesdienst in der Edith-Stein-Kapelle des Tagungshauses. „Gemeinsam bunt, gemeinsam stark, so gehen wir durchs Leben, Gott ist da mit seinem Segen“, singt auch Martina Wedderin begeistert mit. Sie lebt im Caritas-Wohnheim in Ascheberg und hat sich schon lange auf diesen Tag gefreut. „Es ist toll, dass es einen solchen Tag gibt. Er ist immer sehr gut vorbereitet“, sagt sie und kann bereits auf drei Studientage zurückblicken. 

Was bedeutet eigentlich Leistung? Klaus-Peter Bomba und Martina Wedderin sind sich in der Frage einig: „Leistung heißt Arbeiten. Das ist besser als Zuhören, macht viel Spaß und man kann sich davon eben etwas leisten.“ Wie sich der Leistungsbegriff gewandelt hat, schildert der Kirchenhistoriker und frühere Generalvikar, Dr. Norbert Köster. „Der Leistungsgedanke spielte im 17. Jahrhundert eine große Rolle, als die Kirche mit der Elitenförderung sehr engagiert war.“ Als die Kirche im 19. Jahrhundert dann gesellschaftlich starken Gegenwind erfuhr, habe sich der Schwerpunkt geändert: „Dann wurden viele Einrichtungen für benachteiligte Menschen geschaffen. Vor allem Ordensfrauen haben hier Großes geleistet“, sagt Köster. Aktuell erfahre der Leistungsbegriff durch die Inklusion erneut einen Wandel. „Jetzt wird Leistung jedem ermöglicht und sehr individuell gesehen“, sagt er. Die Herausforderung sei es, Leistung nicht wieder zu einem Maßstab zu machen.

Schafe und ein Schäfer aus Holz

In einem Workshop lernten die Teilnehmer die Methode „Godly Play“ („Gott im Spiel“) kennen, ein Konzept, bei dem mit Holzfiguren und anderen Materialien spielerisch die Bibel und der Glaube entdeckt werden.

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Die Philosophin Dr. Katja Stoppenbrink aus Münster konfrontiert die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit einer weiteren Frage: „Hat Ihnen schon mal jemand gesagt, dass Sie wenig oder nichts leisten können?“ Klaus-Peter Bomba, der in der Schreinerei der Freckenhorster Werkstätten arbeitet, kann sich zwar nicht an eine konkrete Situation erinnern, hat aber stets im Blick, dass der Kunde fristgerecht beliefert werden muss und mit dem Produkt zufrieden sein soll. „Etwas Druck gehört zur Arbeit dazu, wenn am Ende etwas fertig sein soll. Aber wir helfen uns gegenseitig und ich arbeite gerne im Team“, sagt der Ennigerloher. Auch Martina Wedderin hat bei ihrer Arbeit in den Caritas-Werkstätten im Bereich Montage positive Erfahrungen gemacht: „Mein Chef sagt mir immer, ich soll lieber langsam arbeiten und dafür sorgfältig.“ Stoppenbrink schlägt einen inklusiven Leistungsbegriff vor: „Es kommt nicht auf einen Vergleich an. Jeder von uns kann etwas leisten und jeder leistet sehr viel.“ 

Am Nachmittag dürfen Bomba und Wedderin zwischen vier Workshops wählen. Sie entscheiden sich für das sogenannte „Godly Play“ („Gott im Spiel“), ein Konzept zum spielerischen Entdecken von Bibel und Glauben. Dr. Delia Freudenreich aus Paderborn wendet die Methode am biblischen Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg an, das die Teilnehmer bereits am Morgen im Gottesdienst gehört haben. Holzfiguren unterstützen die Menschen mit und ohne Behinderung dabei, eigene Alltagserfahrungen zu deuten und ihrer ganz persönlichen Gottesvorstellung auf die Spur zu kommen. Für Bomba eine Bereicherung: „Das kannte ich noch nicht, ich habe viel Neues gelernt.“ Für ihn steht am Ende fest: „Nächstes Jahr bin ich wieder dabei.“ 

Ann-Christin Ladermann

Klaus-Peter Bomba aus Ennigerloh sitzt im Publikum des Studientags.

Klaus-Peter Bomba aus Ennigerloh hat zum zweiten Mal am Studientag Behinderung und Glaube in der Akademie Franz Hitze Haus teilgenommen.

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