„Jemandem in dieser Situation nah sein zu dürfen, macht mich demütig“

, Bistum Münster, Stadtdekanat Münster

Die würdevolle Begleitung von Menschen in der letzten Lebensphase und ihrer Angehörigen ist das Anliegen aller, die sich in der Hospizarbeit engagieren. Dazu zählen auch die vielen Ehrenamtlichen im Bistum Münster, die schwerkranke und sterbende Menschen im stationären und ambulanten Hospizdienst begleiten. Anlässlich des Welthospiztages am 13. Oktober hat uns Philomena Brinkbäumer aus Münster von ihren Erfahrungen und ihrer Motivation erzählt.

Im Wohnzimmerregal von Philomena Brinkbäumer steht ein schmaler, blauer Ordner. Es ist ein Ordner mit Geschichten über das Leben und den Tod. Notizen, Dokumente, Fotos – er enthält Erinnerungen an die Menschen, die die 51-Jährige beim Sterben begleitet hat oder gerade begleitet. „Ich darf einen Teil des Weges, den letzten Teil, mit ihnen gehen, darum sind sie auch ein Teil meines Lebens“, sagt sie. Noch ist in dem Ordner viel Platz, doch die Münsteranerin weiß, dass sich das ändern wird.

Philomena Brinkbäumer ist ehrenamtliche Sterbebegleiterin. Über den ambulanten Hospizdienst des Johannes-Hospizes in Münster unterstützt sie schwerkranke und sterbende Menschen. Zurzeit sind rund 40 Ehrenamtliche im Einsatz, die von drei hauptamtlichen Koordinatorinnen geleitet werden. „Wir reden mit den Sterbenden über Gott und die Welt, schweigen gemeinsam und halten die Hand, wir stellen uns aber auch den existenziellen Fragen dieser Menschen – und davon haben manche am Ende ihres Lebens viele“, weiß Philomena Brinkbäumer, die als Assistentin des Geschäftsführers beim Landwirtschaftsverlag in Münster arbeitet.

Philomena Brinkbäumer

Philomena Brinkbäumer begleitet ehrenamtlich schwerkranke und sterbende Menschen über den ambulanten Hospizdienst des Johannes-Hospizes in Münster.

© Bischöfliche Pressestelle/Ann-Christin Ladermann

Zum ersten Mal mit dem Tod wurde die Münsteranerin konfrontiert, da war sie elf Jahre alt und im Krankenhaus. Täglich lief sie auf dem Flur an einem dunklen, nach Zigarettenrauch riechendem Zimmer vorbei. Eines Tages war die Tür geschlossen. „Auf meine Frage nach dem Grund antwortete die Krankenschwester: ‚Da stirbt gerade jemand.‘ Für mich war danach völlig klar: So möchte niemand sterben, das muss auch anders möglich sein.“ Die Vorstellung, dass Sterben immer etwas Furchtbares ist, bestätigte sich für Philomena Brinkbäumer vor fünf Jahren, als ihr Vater krankheitsbedingt einen qualvollen Tod starb. Die letzten fünf Tage war sie ununterbrochen an seiner Seite und fühlte sich dennoch oft unsicher: „Wie verhalte ich mich? Was kann ich tun? Ich hatte im Gefühl: Das geht besser“, erinnert sie sich.

Ein Jahr gab sie sich Zeit, um den Tod ihres Vaters zu verarbeiten, dann wandte sie sich an das Johannes-Hospiz und begann ehrenamtlich im Trauercafé zu arbeiten, einem offenen Angebot für Menschen, die einen Verlust erlitten haben. „Die Gespräche dort haben mir erste Ängste genommen“, blickt sie zurück. Sie entschied sich für die Ausbildung zur Sterbebegleiterin. Mehrere Monate lang erhielt sie zusammen mit 15 anderen Ehrenamtlichen das Rüstzeug für die Aufgabe, lernte etwas über den Sterbeprozess, über Glaubensfragen und die Kommunikation mit Sterbenden. 

Noch oft denkt sie an ihre erste Begleitung vor rund zwei Jahren zurück. Ein älterer Mann, der erblindet und zuletzt bettlägerig war. Sieben Monate lang besuchte sie ihn wöchentlich, sprach mit ihm über seine Ängste, war einfach da. „Er war oft sehr unruhig, weil ihm das Blindsein Angst gemacht hat, aber Körperkontakt, das Halten seiner Hand, hat ihn beruhigt“, berichtet Philomena Brinkbäumer. Dankbar ist sie, dass sie am Abend vor seinem Tod mehrere Stunden mit seinen Töchtern zusammen an seinem Bett sitzen durfte. Auch am nächsten Tag, kurz nach seinem Tod, war sie auf Wunsch der Angehörigen da. „Das war ein ganz besonderer, friedlicher Moment, als wir bei ihm saßen“, erinnert sich die 51-Jährige – und dieser hat sie in ihrem Ehrenamt bestärkt: „Wenn ich nur einer Person das Sterben, das Gehen etwas erleichtern kann, lohnt es sich schon.“ Und noch etwas freut sie: „Ich konnte dazu beitragen, dass die beiden Töchter den Moment des Abschiednehmens nicht ausschließlich traurig in Erinnerung haben, sondern dass sie ihn im Nachhinein wertschätzen können. Sie waren dabei und konnten ihrem Vater ein friedliches Sterben ermöglichen.“ 

Auch Philomena Brinkbäumer nimmt jedes Mal Abschied von ihren Begleitungen – mit einem Ritual. Obwohl sie kein gläubiger Mensch ist, führt sie der Weg dafür in die Kirche. „Das ist für mich ein Ort, an dem ich die Person auch betrauern darf. Wenn ich eine Kerze angezündet habe, kann ich rausgehen und habe einen Abschluss gefunden“, sagt sie. Die Münsteranerin empfindet es als Ehre, dass ihr ein Mensch in der letzten Lebensphase sein Vertrauen schenkt. „Jemandem in dieser Situation nah sein zu dürfen, macht mich demütig“, bringt sie es auf den Punkt. Durch die Sterbenden werde sie mit Fragen konfrontiert, die sich ihr vorher nie gestellt haben. „Ich kann daraus viel lernen, es bereichert mich und mein Leben.“ 

Doch sie weiß auch, dass Sterben und Tod in der Gesellschaft nach wie vor keinen festen Platz haben. „Die Themen sind angstbehaftet, es wird zu wenig darüber gesprochen“, bedauert sie. Wenn sich die Einstellung ändern und der Tod als ein Teil des Lebens angenommen werde, würde das besonders auch jungen Menschen manche Ängste nehmen und sie bewusster leben lassen, vermutet die Mutter eines erwachsenen Sohnes. Zumindest hat sie das bei sich selbst festgestellt: Viel bewusster genießt sie seit Beginn ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit das Leben. „Natur, Konzerte, der Umgang miteinander – ich versuche vielmehr das Schöne in allem zu sehen, das auch wertzuschätzen und mich selbst nicht so wichtig zu nehmen.“

Ann-Christin Ladermann

Bildunterschrift zum Foto oben: „Wir reden mit den Sterbenden über Gott und die Welt, schweigen gemeinsam und halten die Hand, wir stellen uns aber auch den existenziellen Fragen dieser Menschen“, sagt Philomena Brinkbäumer über ihr Ehrenamt. (Foto: Johannes-Hospiz Münster)