© Thomas Mollen

Journalistin ruft im St.-Paulus-Dom zum Einsatz für Europa auf

, Bistum Münster

„Europa ist im besten Sinne ein utopischer Ort, eine noch glückliche Halbinsel. Europa bleibt dies, wenn wir uns dafür einsetzen.“ Patricia Schlesinger, Intendantin des Rundfunks Berlin-Brandenburg, hat sich am 28. August in Münster klar für das kontinentale Staatenbündnis ausgesprochen. Sie sprach im Rahmen der Vortragsreihe Domgedanken 2019, die unter dem Obertitel „Warum ich Europäer bin“ steht.

Demokratie kann auch verloren gehen

Intendantin Patricia Schlesinger bekannte sich im Münsterschen St.-Paulus-Dom zur Europäischen Idee und rief dazu auf, für die Demokratie zu kämpfen.

Intendantin Patricia Schlesinger bekannte sich im Münsterschen St.-Paulus-Dom zur Europäischen Idee und rief dazu auf, für die Demokratie zu kämpfen.

© Thomas Mollen

Schon zum Einstieg bekannte die Journalistin: „Wenn ich an Europa denke, schwingt für mich immer etwas Beglückendes mit.“ Den Traum eines geeinten Europas in Frieden, Sicherheit und Wohlstand erlebe sie nunmehr seit mehr als sechs Jahrzehnten. Das so gelebte Europa sei eine „konkrete Utopie“, die allerdings heute etwas an Überzeugungskraft verloren habe.

„Ausgerechnet Großbritannien, die Mutter der Demokratie, reißt sich vom Kontinent los“, beklagte die Intendantin. 30 Jahre nach dem Mauerfall werde wieder Stacheldraht ausgerollt. Die grenzenlose Freiheit sei ernsthaft bedroht.

Schlesinger räumte ein: Europa sei in den vergangenen Jahrzehnten größer und komplizierter geworden. In jüngster Zeit wirkten hier „zersetzende Kräfte, ausgelöst durch Sorgen über die Zuwanderung, den Wandel in der Arbeitswelt, die Digitalisierung“. „Anti-Europäer“ hätten Menschen „mit populistischen Angriffen, Halbwahrheiten und dreisten Lügen in die Irre geführt“. Das Leben werde aber mit einem Ende der europäischen Integration „keinesfalls einfacher, überschaubarer oder ‚alles so wie früher‘“.

Sich von Europa abzuwenden, mache einen Nationalstaat allenfalls kurzfristig stärker, auf Dauer schwäche es ihn in einer globalisierten Welt. Großbritannien stehe genau diese Erfahrung jetzt bevor, prognostizierte die Intendantin.

Entscheidend sei, „dass wir uns bewusst machen, worin der Wert der europäischen Idee liegt“, hob Schlesinger hervor. Die gemeinsamen Werte seien im EU-Vertrag niedergeschrieben: „Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit, Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte von Minderheiten“. Dies seien „Werte einer Gesellschaft, die sich durch Pluralismus, Nicht-Diskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und die Gleichheit von Frauen und Männer“ auszeichne.

Die Intendantin mahnte, Demokratie sei keine Selbstverständlichkeit: „Demokratie ist niemals ungefährdet, sie kann auch verloren gehen.“ Es brauche keinen Putsch. Demokratie könne auch bröckeln: „Was wir für fest und robust halten, zerfällt nach und nach zu Staub, wenn wir nicht aufpassen“, warnte Schlesinger. Demokratischer Rückschritt beginne an der Wahlurne.

Dies bleibe nicht ohne spürbare Folgen, die Meinungsfreiheit sei das erste Opfer. Entsprechende Entwicklungen seien in Ungarn oder Österreich, in Dänemark oder Polen zu beobachten, beklagte die Intendantin. Kritische journalistische Arbeit bringe heute wieder mitten in Europa Menschen um ihren Beruf und könne sie sogar das Leben kosten, wie in Bulgarien, Frankreich, Malta oder der Slowakei geschehen.

„Offene Angriffe auf die Pressefreiheit sind deutliche Anzeichen dafür, dass wir zum Schutz der Demokratie für Europa kämpfen müssen“, betonte die Journalistin. Europa brauche „uns, diejenigen, die wir an den europäischen Geist zutiefst glauben, die für ihn eintreten und die ihn im Zweifel auch aktiv verteidigen.“

„Zwischen den Supermächten Amerika und China läuft Europa in allen Wirtschafts- und Politikfeldern Gefahr, sich selbst zu verzwergen“, stellte Schlesinger klar. Europäische Länder, die nationale Bedürfnisse gegen eine pro-europäische Haltung ausspielten, pokerten mit der Sicherheit und dem Wohlstand der Gemeinschaft und der eigenen Bevölkerung.

Das Wertegerüst der Europäischen Union schließe die Nationen ein, nicht aus. Die Union achte die jeweilige regionale oder nationale Identität. Auf eine solche Identität stolz zu sein, rücke niemanden in die Nähe von Populisten oder entferne ihn vom europäischen Ideal. Europa sei eigentlich „eine Heimat der Heimaten“.

Was Europa heute brauche, sei mehr Demokratie, mehr Herz und mehr Besinnung auf gemeinsame Werte. Damit Europa erhalten bleibe, auch „als Schutz für Frieden und für wirtschaftliches Wachstum“, müsse Europa neu werden, moderner und zeitgemäßer. Vorschläge dazu hätten vor einiger Zeit bereits Joschka Fischer und jüngst der französische Staatspräsident Emmanuel Macron gemacht, die in unterschiedlicher Ausprägung „mehr Europa“ gefordert hätten. Schlesinger bekannte sich zu Fischers Ideal der Vereinigten Staaten von Europa, sieht aber in Macrons Ansätzen einen realistischeren Weg zu einem gestärkten Europa.

Ein gestärktes Europa hält die Intendantin für „die stabilste Rüstung gegen Bedrohungen des 21. Jahrhundert, seien sie terroristisch, technologisch oder klimabedingt“. Schlesinger bezeichnete „mehr Transparenz“ als ersten Schritt zur Demokratisierung der EU. Der richtige Moment, Europa zukunftsfest zu machen, sei jetzt. Es gelte, die europäische Integration zu verteidigen. „Europa ist nicht abgeschlossen, sondern offen“, stellte Schlesinger am Ende klar und appellierte, für Europa „auch sehr laut, mutig und gefasst zu kämpfen“.
Musikalisch gestalteten diesen Domgedanken Domorganist Thomas Schmitz sowie der Mädchenchor am Dom unter Leitung von Domkantorin Verena Schürmann. Die Reihe setzt sich fort am 4. September. Dann geht der deutsche Botschafter in Großbritannien, Dr. Peter Wittig, der Frage nach, wo Europa liegt. Und er macht „Anmerkungen zur Europäischen Idee und ihrer Wirklichkeit.“

Martin Wißmann