Koloniales Erbe und unsere Verantwortung

, Stadtdekanat Münster

Die langwierigen Verhandlungen zwischen Deutschland und Namibia über die Aufarbeitung der Kolonialzeit standen im Mittelpunkt eines Vortrags mit anschließender Diskussion in der Akademie Franz Hitze Haus in Münster. In Kooperation mit dem Soroptimist International Club Münster-Mauritz war es der Bistumseinrichtung gelungen, mit Ruprecht Polenz den Sondergesandten der Bundesregierung für den Dialog um den Völkermord an den Herero und Nama im Gebiet des heutigen Namibia zu gewinnen. Er skizzierte seine Erfahrungen in dem politischen und gesellschaftlichen Prozess und diskutierte mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern den aktuellen Stand.

© Jeanine Müller-Keuker | SI Club Münster-Mauritz

Von 1884 bis 1915 war das heutige Namibia als „Deutsch-Südwestafrika“ Kolonie des Deutschen Reiches. Als sich zwischen 1904 und 1908 die Volksgruppen der Herero und Nama in zwei bewaffneten Aufständen gegen die deutsche Kolonialmacht auflehnten, wurden sie durch die vom deutschen General von Trotha geführten deutschen Truppen brutal verfolgt, getötet oder interniert. Von Trotha hatte einen ausdrücklichen „Vernichtungsbefehl“ herausgegeben, auf den sich die heutige Bewertung der Vorgänge als Völkermord stützt. Obwohl die Bundesregierung nach intensiven Debatten seit Ende der 1990-er Jahre schließlich 2016 den Völkermord an den Herero und Nama anerkannt hat, ziehen sich die Verhandlungen zwischen der deutschen und namibischen Regierung zum Rahmen einer offiziellen Entschuldigung und dem Umfang einer „Wiedergutmachung“ vor Ort hin.

Weil geschehenes Unrecht nicht ungeschehen gemacht werden kann, ist eine eigentliche Wiedergutmachung kaum möglich, betonte Polenz. Während es den Nachfahren der Opfer um Anerkennung der Leiden geht, die durch die Kolonialherrschaft angerichtet wurden, sei es Ziel der Bundesregierung, im Dialog die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die namibische Seite eine Entschuldigung annehmen kann. Deshalb gehe es neben der politisch-moralischen Dimension nicht zuletzt um das mit tiefen Emotionen verbundene Thema der Rückführung von Gebeinen, die zu Zwecken der ‚Rasseforschung‘ nach Deutschland geschickt worden seien.

Wichtig für das Gelingen der Verhandlungen, die von beiden Seiten als gut bezeichnet werden, sei es, zu einer gemeinsamen Bewertung der Ereignisse der Kolonialzeit zu kommen, um Formulierungen im Vertragstext müsse gerungen werden. Polenz resümierte, der Sinn liege nicht in einer Schlussstrich-Verhandlung, sondern im Gestalten von Versöhnungsprozessen zwischen beiden Ländern. Die Kolonialzeit, so wurde deutlich, sei kein abgeschlossenes Thema. Sie wirke nicht nur in den ehemaligen Kolonien, sondern auch in den Gesellschaften der früheren Kolonialmächte in die Gegenwart und Zukunft hinein.

Text: Ingrid Mende | SI Club Münster-Mauritz