Künstlertreffen: vom Zwiespalt ohne Auflösung

, Bistum Münster

Es prägt nicht nur den Innenraum der ehemaligen Dominikanerkirche in Münster, sondern stand am 13. November auch im Mittelpunkt des diesjährigen Künstlertreffens in der Akademie Franz Hitze Haus Münster: das Kunstwerk „Zwei Graue Doppelspiegel für ein Pendel“ von Gerhard Richter. Unter dem Titel „Experiment und ästhetische Erfahrung“ referierte Prof. em. Dr. Richard Hoppe-Sailer aus Bochum über das Pendel, das seit 2018 in der profanierten Kirche zu sehen ist und das der Künstler der Stadt Münster schenkte.

Referenten und Veranstalter stehen in einem großen Saal, dahinter sind viele Zuhörer zu erkennen. Das Bild zeigt von links: Generalvikar Dr. Klaus Winterkamp, An-dreas Gorschlüterz, Antonius Kerkhoff (Direktor der Akademie Franz Hitze Haus), Susanne Kolter, Richard Hoppe-Sailer, Felix Genn und Kim de Wildt.

Referiert und diskutiert haben (von links) Generalvikar Dr. Klaus Winterkamp, Andreas Gorschlüter, Antonius Kerkhoff (Direktor der Akademie Franz Hitze Haus), Susanne Kolter, Richard Hoppe-Sailer, Felix Genn und Kim de Wildt.

Zum Künstlertreffen hatte Bischof Dr. Felix Genn Kunstschaffende aus dem ganzen Bistum Münster eingeladen. Rund 200 Personen folgten der Einladung. „Ich bin froh, dass wir mit diesem Format immer neu auf aktuelle Themen schauen und dabei alle Bereiche der Kunst abdecken“, sagte der Bischof in seiner Begrüßung.

Als Vorsitzende der diözesanen Kunstkommission stellte Dr. Susanne Kolter den Referenten Prof. Hoppe-Sailer vor. Sein Vortrag beschäftigte sich mit dem Zusammenhang zwischen dem betrachteten Kunstwerk und der Umgebung einer profanierten Kirche.

Die Wahrnehmung des Ausstellungsorts als Kirche sei „nicht mehr eindeutig und ungebrochen“. In diesem Zusammenhang betrachtete der Referent die Wieder-Sichtbar-Machung des Altars durch den Künstler Richter vor dem Hintergrund der Säkularisation Anfang des 19. Jahrhunderts. Diese habe Kirchen und ihre Ausstattung „zu ästhetischen Objekten“ umgedeutet. Insofern stelle sich die „Frage nach der Rolle des Museums“, also der ehemaligen Kirche.

Das Werk in der Dominikanerkirche präge die für Richter oft typische „kritische Distanz“. Dabei sollten die verwendeten Spiegel nicht spiegeln, sondern auf Zweifel deuten, ob es „angesichts der langen Geschichte der Malerei und der Entstehung neuer Bildmedien möglich sein kann, sich ein Bild zu machen.“ Richter „arbeitet am Scheitern des Bilds entlang“, er sei „bestrebt, ein komplexes Arrangement zu schaffen, dem sich der Betrachter nur in konzentrierte Anschauung nähern kann.“ Dabei seien die Spiegel aber so gestaltet, dass diese Anschauungsarbeit nicht zum Ende komme. Experimente, wie Richter sie durch Aufgreifen des Foucaultschen Pendels thematisiere, seien immer wieder Gegenstand der Kunst gewesen. „Diese Ästhetisierung der Naturwissenschaften kommt immer ins Spiel, wenn Kunst und Naturwissenschaft das grundsätzliche Interesse an der Sichtbarmachung des optisch schwer Erkennbaren oder gar Unsichtbaren verbindet.“

Beim Kunstwerk in der Dominikanerkirche komme hinzu, dass es keinen idealen Standpunkt für den Betrachter gebe, sondern der sich bewegen müsse, um das gesamte Werk wahrzunehmen. Die dabei entstehende „Erfahrung des Schwindels“ entspreche der Erfahrung der mehrfach bewegten menschlichen Existenz im All und bestätige den grundlegenden Zweifel an den Möglichkeiten den Bildes.

Nachdem er noch die Felder der Theologie und des künstlerischen Selbstverständnisses gestreift hatte, folgerte Hoppe-Sailer, dass der Bezug auf die Kirche in Richters Werk „äußerst peripher“ sei. Für eine profanierte Kirche gelte dies noch deutlicher. Sowohl Ort als auch Ausstattungsstücke erschienen „allein noch in unscharfen, sich potenzierenden Spiegelbildern, in Formen des Scheins und der Unklarheit, aber nicht mehr in der Geschlossenheit eines traditionellen Kunstwerks.“ Es gebe keine Haltung gegenüber dem Werk, die den damit verbundenen Zwiespalt, die Fremdheit auflösen könnte. „Wir müssen uns der tiefen Skepsis stellen, die darin eingeschrieben ist“, bilanzierte der Referent.

An seinen Vortrag schloss sich ein von Susanne Kolter moderiertes Podiumsgespräch an. Neben Hoppe-Sailer nahmen daran Dr. Andreas Gorschlüter vom Physikalischen Institut der Universität Münster, der die Installation des Pendels aus dem Richter-Kunstwerk begleitet hatte, und Dr. Kim de Wildt teil. Letztere arbeitet am Center for Religious Studies (CERES) an der Ruhr-Universität Bochum am Forschungsprojekt "Sakralität  im Wandel".

Anke Lucht