Lagerhallen voller Geschichte

, Bistum Münster

Es ist kühl. Der Geruch von altem Holz, schweren Stoffen und kaltem Stein liegt in der Luft. So riecht Jahrhunderte alte Geschichte. Ein Blick auf die vielen Holzskulpturen, Heiligenfiguren und mehr in den Hochregalen der 1000 Quadratmeter großen Lagerhalle lässt vermuten: Wer es hierhin geschafft hat, kann bleiben. Oder gibt es vielleicht doch noch eine weitere Verwendung? Mit dieser Frage werden Professor Dr. Thomas Flammer, Leiter der Abteilung Kunst und Kultur im Bischöflichen Generalvikariat (BGV) in Münster, und sein Team täglich konfrontiert. Das Depot in einem Vorort von Münster, das das Bistum zur Lagerung von ausrangierter Kirchenkunst angemietet hat, ist nicht das einzige im Bistum. Neben einem weiteren im Mauritzviertel gibt es noch zwei Depots im Kreis Warendorf und eins im Kreis Wesel am Niederrhein.

Wie in einem Setzkasten sind Kelche, Heiligenfiguren und Kerzenleuchter gelagert.

© istum Münster

„In den vergangenen zehn Jahren konnten wir nur reagieren und nicht agieren“, erklärt Flammer mit Blick auf die bisherigen 70 Schließungen von Kirchengebäuden und Klosterkirchen im Bistum. Ein ökumenisches Problem, denn auch die Evangelische Landeskirche hat mit einer steigenden Anzahl an ausgelagerten Kunstobjekten aufgrund von sogenannten Profanierungen von Kirchen zu kämpfen. Wie das zweitgrößte Bistum Deutschlands damit umgeht, wollen die Kunstkenner der evangelischen Kirche wissen und lassen sich vom Abteilungsleiter und von Dr. Michael Reuter von der Gruppe Kunstpflege im BGV die Depots zeigen. Denn seit Gründung des ersten Depots in den 1970er-Jahren im Kreis Warendorf ist es durch das Einlagern gelungen, Gemälde, Glasmalereien, Skulpturen und sakrale Gegenstände zu erhalten. Zudem wurden so Gemeinden entlastet und im Idealfall die Gegenstände in anderen Kirchen wieder eingesetzt.

„Jedes Teil hier hat eine Geschichte, eine Tradition“, erklärt Reuter, während er an den Metallregalen in der Lagehalle entlanggeht. Hinten rechts hat der Altar aus der ehemaligen St.-Bonifatius-Kirche am Cheruskerring seinen Platz gefunden – der Kirche, die 2005 als erstes Gotteshaus im nordrheinwestfälischen Teil des Bistums geschlossen und zum heutigen Verlagshaus der Bistumszeitung „Kirche + Leben“ umgewandelt wurde. Am anderen Ende des Depots steht das wohl größte derzeit eingelagerte Kunstwerk: ein kompletter Beichtstuhl aus der 2017 profanierten Dominikanerkirche in der Innenstadt. Aber auch dazwischen gibt es viel zu entdecken: Unzählige Heiligenfiguren schauen von Paletten auf die Gäste der Landeskirche herab, alte Kreuze stehen aufgereiht daneben, Steinfragmente aus dem St.-Paulus-Dom liegen sorgfältig ausgebreitet auf einem Tisch davor. 

Es sei enorm wichtig, das christliche Kulturgut Westfalens und des Niederrheins zu sichern, sagt Reuter und deutet auf eine eingelagerte Kirchenbank mit einer filigranen Verzierung am Kopfende – für Laien wohl erst auf den zweiten Blick erkennbar. Der Kunsthistoriker weiß von jedem Gegenstand, wo er ursprünglich Verwendung gefunden hat und wann er ins Bistumsdepot umgezogen ist. „Über Generationen sind Architekten, Künstler und Handwerker beauftragt worden und haben mit hohem Sachverstand, Sinn für Ästhetik und handwerklichem Geschick kirchliche Ausstattungsgegenstände zur höheren Ehre Gottes angefertigt.“ Dieses Kulturgut gelte es zu bergen, in Depots zu bewahren oder in anderen Kirchen des Bistums einer neuen Funktion zuzuführen.

In einem Depot im Kreis Warendorf werden in einem Gemäldeturm sämtliche Kreuzwegstationen, Graphiken und Portraits aus geschlossenen Kirchen im Bistum Münster gelagert.

© Bistum Münster

Doch nicht alles nehmen die Kunstbeauftragten des Bistums von den Pfarreien entgegen. „Das hängt von der Qualität des Materials, der handwerklichen Verarbeitung und der Aussagekraft des Objektes für eine Kunstrichtung ab“, erklärt Reuter. Zusammen mit der wissenschaftlichen Referentin Christina Hoffmann ist er derzeit dabei, das eingelagerte Kunstgut genauer zu inventarisieren und zu sortieren. So beherbergt ein Depot im Kreis Warendorf überwiegend Gemälde, ein weiteres eignet sich aufgrund von klimatischen Gegebenheiten ausschließlich für unempfindliche Objekte wie Steinarbeiten oder Glocken. Besonders wertvolle Kirchenschätze werden in einem externen Tresor aufbewahrt. 

Längst gibt es Bedarf für ein weiteres kirchliches Depot: „Zwar sind die Profanierungen von Kirchen zur Zeit gestoppt, aber im Zuge von Modernisierungen werden Kirchen verkleinert“, sagt Flammer und blickt in die Zukunft: „Kunstgut muss also weiterhin eingelagert werden.“ Der Kirchenhistoriker, der die Leitung der neugegründeten Abteilung im BGV vor rund einem Jahr übernommen hat, weiß, dass es angesichts der Bedeutung des Kulturerbes, das in den Kirchen wartet, noch viel zu tun gibt. Denn auch die Ausstattung bestehender Kirchen müsse dringend inventarisiert werden. In den 723 Kirchen und Kapellen im Bistum seien mindestens 150.000 Objekte – darunter Altäre, Skulpturen, barocke Malereien, mittelalterliche Kelche, Gewänder und vieles mehr – zu dokumentieren. 

Anfang des kommenden Jahres sollen darum in Absprache mit Generalvikar Dr. Klaus Winterkamp Richtlinien verabschiedet werden, die festlegen, wie sowohl mit dem Kunstgut in Benutzung als auch mit dem bereits eingelagerten umgegangen wird. „Die Ausstattung in unseren Kirchen ist Ausdruck gelebten Glaubens und kultureller Vielfalt über Jahrhunderte hinweg“, betont Flammer. Dieses reiche Erbe gelte es für die kommenden Generationen festzuhalten. 

Ann-Christin Ladermann