„Mehr Angst vor dem Hungertod als vor dem Virus“

, Bistum Münster, Kreisdekanat Steinfurt

Peru ist seine zweite Heimat. Vor fast 50 Jahren zog es Norbert Strotmann (73 Jahre) ins westlichen Südamerika. Zurzeit erlebt der Riesenbecker, der seit 1996 erster Bischof der Diözese Chosica (Lima-Ost) sowie Generalsekretär der Peruanischen Bischofskonferenz ist, dort die dramatischen Auswirkungen der Corona-Pandemie. Im „Welt-Ranking“ der vom Virus am meisten betroffenen Länder stehe Peru aktuell an siebter Stelle, schreibt Bischof Strotmann in einer Mail. Peru zähle laut offizieller Statistik rund 330.000 Infizierte und ins-gesamt etwa 12.000 Todesfälle. „Unsere Regierung hat die frühesten und härtesten Quarantäne-Regeln erlassen; dennoch war der Eindämmungserfolg begrenzt“, schildert Strotmann die Lage im Land.

Bichof Norbert Strotmann (links) und Bischof Felix Genn in Peru.

Bischof Norbert Strotmann (links), der aus Riesenbeck stammt, organisiert während der Corona-Pandemie Hilfen für die ärmsten Bevölkerungsgruppen in seinem Bistum Chosico. Das Foto mit Bischof Dr. Felix Genn entstand bei einem Besuch in Peru im vergangenen Jahr.

© Bistum Münster

Die Gründe für diesen extremen Ausbruch - trotz Schutzmaßnahmen und Einschränkungen - seien vielfältig. Der Bischof nennt zwei: „Unser Gesundheitssystem konnte nicht auf eine derartige Epidemie reagieren. Es gibt zwar eine allgemeine Krankenversicherung für die Armen, diese deckt aber kaum Leistungen ab. Notwendige Behandlungen waren oftmals wegen einer Überbelegung der Hospitäler beziehungsweise wegen fehlendem Sauerstoff nicht möglich.“ Der zweite wichtige Grund: In den Elendsvierteln, beispielsweise am Stadtrand von Lima, wo ungefähr sechs bis sieben Millionen Betroffene leben, griff die Quarantäne nur begrenzt: „Die Menschen wohnen auf engstem Raum, der für deutsche Bürger unvorstellbar wäre.“. Außerdem gelte: Je weiter von der Landeshauptstadt oder den großen Küstenstädten entfernt, desto schwächer sei die Infrastruktur im Gesundheitswesen. Peru ist – bei 33 Millionen Einwohnern – flächenmäßig dreimal so groß wie die Bundesrepublik.

Waren die Elendsviertel von Lima bis vor sechs Wochen das Epizentrum der Pandemie, so sei dies heute vor allem die Region Selva. Aber auch die Großstädte des Nordens und des Südens seien betroffen. Die Infektionskurve schwäche sich zwar langsam ab, sei aber noch fern vom Null-Wachstum, berichtet der der Bischof, der dem Orden der Hiltruper Missionare angehört.

Und was tut die katholische Kirche? „Nach dem ersten Schrecken haben wir uns mit der nationalen Caritas in Bewegung gesetzt. Zudem haben wir weitere Möglichkeiten ausgeschöpft. So hat meine Sekretärin in zwei Monaten rund 200 Tonnen Lebensmittel erbettelt und hervorragend organisiert“, sagt Strotmann.

Vor sechs Wochen habe das Bistum die Regierung darauf hingewiesen, dass die Menschen mehr Angst vor dem Hungertod als vor dem Virus hätten. Der Staat bewege sich, allerdings nur langsam, wie der Bischof findet. Deshalb helfe sein Bistum dem Innenministerium, weite Teile der ärmsten Bevölkerung mit Grundnahrungsmitteln zu versorgen.

Die Bischofskonferenz habe außerdem eine Aktion unter dem Motto „Gebt ihr ihnen zu essen“ (Mt 14, 16) initiiert. Zudem habe   eine Fernseh-Aktion zusammen mit der nationalen Unternehmer-Organisation und einer privaten Universität unter dem Leitwort „Atme, Peru“ stattgefunden. „Wir brauchen Einrichtungen, die Sauerstoff produzieren“, erläutert Strotmann den Ansporn. Als Nächstes müsse die Installierung und Versorgung von Gemeinschaftsküchen gefördert werden. Nur so könne den Hungernden geholfen werden.

Bischof Strotmann denkt auch schon ans Ende der Pandemie: „Wir müssen darauf achten, dass sich der Finanzsektor bei der Rückkehr zur Normalität nicht allzu sehr bereichert. Die Wirtschaft ist für den Menschen da, nicht umgekehrt.“

Gudrun Niewöhner