Mehr wirkliche Verantwortung für Laien

, Bistum Münster

„¡Buenos dias! ¿Qué tal? Hace frio hoy, verdad? - Guten Tag! Wie geht’s? Kalt heute, nicht wahr?“ Norbert Strotmann ist selbst bei fast 30 Grad, mit denen die Sonne am späten Sonntagvormittag in Huaycan schon grillt, zu Scherzen aufgelegt, wenn er mit den Menschen in einen kleinen Plausch kommt. Nach der Feier der Eucharistie in der Pfarrei San Andres spaziert der 72-Jährige, bekopft von einem Sonnenhut, der von den Ausmaßen her eher an ein Ein-Mann-Zelt erinnert, am zweiten Fastensonntag begleitet von Münsters Bischof Felix Genn durch den Ort am Fuße der Anden.

Bischof Strotmann (links) und Bischof Genn

Bischof Dr. Norbert Strotmann (links), gebürtig aus Riesenbeck im Kreis Steinfurt, zeigt Münsters Bischof Dr. Felix Genn die Lebenssituation der Menschen in Huaycan, einem der ärmsten Stadtteile im Nordosten von Lima.

© Bistum Münster

Strotmann, der aus Riesenbeck im Kreis Steinfurt stammt, ist seit 47 Jahren in Peru, seit 1997 steht er als erster Bischof der dann gegründeten Diözese Choisaca im Osten der peruanischen Hauptstadt Lima vor. Nun freut er sich, dass der Bischof aus seinem Heimatbistum für einige Tage zu Besuch ist. Bischof Genn ist gekommen, um - wie er es im Vorfeld gesagt hat - „die pastorale Situation und Lebenswirklichkeit in Peru kennen zu lernen.“ Von beiden gibt es beim Gang durch den Ortsteil Ate in Huaycan jede Menge.

Wellblechhütten, kleine Häuser aus Lehm, Wäscheleinen auf den Flachdächern, die darauf hindeuten, dass sich auch hier Menschen eingerichtet haben, streunende Hunde vor fast jeder Hütte, Frauen, die die Wäsche in großen Bottichen schrubben, und unzählige Kleinstläden, die den Menschen das Überleben sichern sollen, spiegeln die Lebenswirklichkeit wider. Und Ate zählt dabei, wie Bischof Strotmann dem Gast aus der Heimat erzählt, noch nicht einmal zu den ärmsten Orten in Choisica. Um diese zu sehen, genügt es, den Blick nach links und rechts zu richten. Auf den Bergen rundherum stehen oft überraschend farbenfroh angemalte Häuser und Hütten. „Immer mehr“, wie Bischof Strotmann sagt. „Und wenn es stark regnet und die Häuser rutschen ab, werden einfach neue gebaut.“ Einen Plan, wie eine sinnvolle und zukunftsfähige Ansiedlung der Menschen aussehen könnte, gibt es nicht. Überall auf den Andenausläufern gibt es solche Siedlungen und es werden immer mehr: Ein Problem, eine Herausforderung auch für die Pastoral. „Wie können wir diese Menschen und auch die, die sich in den neu entstehenden, großen Plattenbauten am Fuße der Berge niederlassen mit der Frohen Botschaft erreichen?“, fragt der Missionar. 

Evangelikale Gruppen sind hier längst in das frühere Heilsversprechen-Monopol der katholischen Kirche eingebrochen. Der katholischen Kirche in Peru - wie in ganz Lateinamerika - fehlt dagegen das Personal, um pastorale, gerade auch gottesdienstliche, Angebote zu machen. „Lateinamerika ist schon längst nicht mehr der Kontinent der katholischen Hoffnung. Wir erleben bereits die zweite Generation, die nichts von Kirche weiß. War Lateinamerika früher einmal eine geschlossene katholische Gesellschaft, müssen wir heute schon froh sein, wenn unsere Religionslehrer noch katholisch sind“, analysiert Strotmann ebenso scharf wie gnadenlos.

Doch Norbert Strotmann wäre nicht Norbert Strotmann, wenn er dieser Entwicklung tatenlos zusehen würde. Denn nicht nur ist der Ordensmann der Herz-Jesu-Missionare seit seiner Priesterweihe 1973 leidenschaftlicher Missionar und anpackender Seelsorger. Vielmehr war der promovierte Theologe, der zudem Philosophie und Soziologie studiert hat, auch viele Jahre Professor für Fundamentaltheologie und Katholische Soziallehre an der Theologischen Fakultät in Lima. Der Heilige Stuhl berief ihn 1992 in die Theologenkommission, die vor allem die Aufgabe hat, das lehramtliche Wirken des Papstes und der Bischöfe theologisch zu begleiten.

So überrascht es kaum, dass Strotmann erst aus der genauen, auch wissenschaftlich fundierten Analyse der Situation, ins praktische pastorale Handeln kommt. Dieses muss für ihn strategisch fundiert und gut geplant sein. „Wir sollten etwa versuchen, als katholische Kirche in Peru auch in den neuen Wohngebieten präsent zu sein, und sei es nur, dass wir das Angebot machen, am Sonntag gemeinsam den Rosenkranz zu beten“, sagt er. Die Menschen müssten neu spüren und erfahren: „Ohne den Glauben verpasst Du das Wichtigste für Dein Leben.“ Wie das systematisch gelingen kann, hierzu gab es im Bistum Choisica bereits 1998 einen ersten Pastoralplan. Aktuell orientiert sich die Seelsorge der Diözese am „Strategischen Pastoralplan für die Jahre 2011 bis 2021“. Dieser wirbt für eine dynamische und differenzierte Seelsorge, weil auch die Gesellschaft sich immer mehr in verschiedene Gruppen ausdifferenziert. Und vor allem setzt der Plan, so sagt Strotmann, auf die intensive Mitarbeit und Teilhabe von Laien: „Wir wollen und müssen Laien wirkliche Verantwortung geben. Unser konkretes Ziel ist es, dass sich ein Prozent der katholischen Laien engagieren und Verantwortung übernehmen: In einer Pfarrei mit 50.000 getauften Katholiken, von denen wir aber heute nur noch rund zehn Prozent erreichen, wären das also 500“, sagt er.

Engagierten Laien mehr wirkliche Verantwortung und eine hörbare Stimme in der katholischen Kirche geben...das würde, da ist sich Norbert Strotmann sicher, auch zu einem neuen, anderen Miteinander von Priestern und Laien und zu einer neuen Machtverteilung in der katholischen Kirche führen. Beides hält er für notwendig. 

Ein heißes Eisen? Nicht für jemanden, der auch bei fast 30 Grad noch sagt: „Hace frio hoy - kalt heute.“

Text und Foto: Dr. Stephan Kronenburg