Mit 5000 Buttons gegen die Einsamkeit

, Stadtdekanat Münster

Advents- und Weihnachtstage, Weihnachtsmärkte, Zeit mit Familie und Freunden. „Mein Vater ist vor drei Jahren gestorben“, sagt Stephan Orth und setzt diese Aussage bewusst dem heimeligen Gefühl gegenüber. Aus dieser Zeit kennt er das Gefühl tiefer Einsamkeit. „Jetzt gerade ist die Stadt voller Menschen, die glücklich zusammen Zeit verbringen. Aber es gibt auch die andere Realität, die Einsamen, ausgeschlossen vom Glück der anderen. Wer nimmt sie in den Blick?“, fragt der Theologiestudent. Er ist der Initiator der Aktion „Blickpunkt Menschen“ der münsterischen Pfarrei St. Lamberti. Zum Auftakt diskutierten am 9. Dezember Expertinnen und Experten in der St.-Lamberti-Kirche über das Phänomen der Einsamkeit.

Prof. Dr. Friedrich Dieckmann, Dr. Susanne Boshammer, Moderatorin Andrea Hansen, Initiator Stephan Orth und Prof. Dr. Thomas Reker (von links) gestalteten den Auftakt des Projektes „Blickpunkt Menschen“.

© Bistum Münster

Die Verantwortlichen möchten ein sichtbares Zeichen gegen Einsamkeit setzen: Alle, die zeigen wollen: „Ich bin ansprechbar. Stören Sie mich ruhig“, können sich einen orangen Button anheften. 20 Kooperationspartner hat die Aktion in der Stadt Münster bereits gefunden, darunter die Stadtbücherei, das Stadttheater, das Schülercafé Lenz, bei denen 5000 Buttons sowie 5000 Postkarten zum Abholen ausliegen. „Das Projekt will den Blick bewusst auf die Einsamen, Alleingelassenen lenken, auf die, die nicht gesehen werden“, erklärte Orth. Die Aktion möchte Menschen miteinander im Alltag verbinden und Hemmschwellen im zwischenmenschlichen Kontakt abbauen. 

„Wie viel Zeit verbringe ich am Tag mit einem Menschen, der mich als Person sieht“, fragte Susanne Boshammer, Professorin am Institut für Philosophie der Universität Osnabrück, bei der Auftaktveranstaltung. „Und ich meine nicht die Arbeitskollegen. Selbst wenn es nur fünf Minuten sind, die sind wichtig und wertvoll“, betonte sie. Jeder Mensch habe den Wunsch nach Kontakt zu anderen Menschen: „Wir sind soziale Wesen.“ Gleichzeitig würden alle das Gefühl von Einsamkeit kennen. „Einsamkeit ist menschlich. Und ich darf einsam sein“, betonte Boshammer. Man könne die Zeit nutzen, um sich selber besser kennen zu lernen. 

„Zu Beginn meiner Studienzeit habe ich ganze Wochenenden allein verbracht“, gab Professor Thomas Reker, Ärztlicher Direktor der LWL-Klinik Münster und Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie einen persönlichen Einblick. Reker lenkte die Aufmerksamkeit auf die Unterscheidung von „einsam oder allein“ und stellte klar: „Das Alleinsein ist eine bewusste Entscheidung. Nach dem Motto: Ich bin gerne allein, um Zeit für mich zu haben.“ Im Gegensatz zur Einsamkeit. „Das Gefühl des Nicht-Dazugehörens sucht man sich nicht aus.“ Besonders psychisch Erkrankte würden darunter leiden. Deren Realität sei so verschoben, dass sie nicht mehr kompatibel mit der anderer sei. 

Professor Friedrich Dieckmann, Leiter des Instituts für Teilhabeforschung an der Katholischen Hochschule (KatHo) NRW in Münster ergänzte, dass Menschen mit Beeinträchtigungen oft das Gefühl hätten, nicht dazuzugehören. „Ich entspreche nicht der Norm und werde daher ausgegrenzt.“ Kurze Kontakte im Alltag könnten schon helfen, das Gefühl abzumildern. Ein tiefes Gefühl von Einsamkeit könne auch eine nicht erwiderte Liebe hervorrufen. 
Mit der Aktion unternimmt die Pfarrei den Versuch, Menschen miteinander in Kontakt zu bringen, „zu einem Gespräch, vielleicht sogar einem Kaffee“, sagt Orth. Und er denkt schon weiter: „Im Sommer können wir vielleicht Gastronomen gewinnen, die einen Tisch zur Verfügung stellen, um dort ungezwungen miteinander ins Gespräch zu kommen.“

Jürgen Flatken