NRW-Opferschutzbeauftragte spricht beim ersten Geistlichen Themenabend 2020

, Bistum Münster

"Bei Menschen, die als Kinder oder Jugendliche Opfer in kirchlichen Strukturen geworden sind, findet man alle Opferperspektiven und -gefühle mit besonderer Deutlichkeit.“ Unmissverständlich hat Elisabeth Auchter-Mainz am 4. März im St.-Paulus-Dom in Münster deutlich gemacht, was Priester und Personalverantwortliche den Betroffenen durch sexuellen Missbrauch in der Kirche und dessen Vertuschung angetan haben. Die Opferschutzbeauftragte des Landes Nordrhein-Westfalen sprach beim ersten von fünf Geistlichen Themenabenden in der Fastenzeit, deren Leitgedanke „Umkehr und Erneuerung“ ist.

Kinder und Jugendliche seien in der Kirche „arg- und schutzlos in einem Umfeld, das ihnen als heile Welt gelten sollte, Opfer schwerer und oft über lange Zeiträume sich wiederholender Straftaten geworden“, machte die Juristin deutlich. „Sie waren die Schwachen, auf die durch Autorität Macht ausgeübt wurde“, beschrieb Auchter-Mainz, „sie durften das gemeinsame Geheimnis, das schlechte Geheimnis, auf keinen Fall bekannt geben.“ Die vom Missbrauch Betroffenen hätten sich aus Angst vor dem Täter und „aus der berechtigten Angst, ihnen werde nicht geglaubt“, nicht öffnen können.

Die Betroffenen hätten neben dem Vertrauen in die Mitmenschen oft auch ihren Glauben und ihre religiöse Bindung verloren. Deshalb begrüße sie es, dass es in einigen Bistümern kirchenunabhängige Ansprechstellen gebe: „Nur so können diese Menschen sich öffnen, und nur so können sie – soweit überhaupt noch möglich - strafrechtliche oder innerkirchliche Verfahren einleiten.“

Für die Opfer sei eine unbedingte Aufklärung wichtig: „Es muss deutlich werden, dass die Personen zur Rechenschaft gezogen werden!“ Jede Form der Bagatellisierung, der Vertuschung oder gar der Parteinahme sei für die Opfer unerträglich und entferne sie sicher noch weiter von der Kirche.

Ein wichtiger weiterer Schritt sei für die Betroffenen die Zahlung einer angemessenen, finanziellen Entschädigung. Auch wenn das, was zerbrochen oder verletzt sei, nicht mit Geld aufzuwiegen sei, bedeute eine solche Zahlung für die Menschen eine Wertschätzung. Die Opferschutzbeauftragte stellte klar: „Es darf sich nicht um einen Betrag handeln, den Bistümer aus der Handkasse zahlen können.“

Jedes Opfer leide und brauche Unterstützung, hatte Auchter-Mainz im allgemeinen Teil ihres Vortrags betont. „Opfer geworden zu sein, ist ein einschneidendes, manchmal ein Leben lang belastendes Ereignis für Menschen.“ Durch eine Straf- oder Gewalttat oder einen Verkehrsunfall ändere sich das Leben Betroffener grundlegend, nichts sei mehr wie vorher.

Jedes Opfer leide auf seine Weise. Manche könnten sich sehr bald öffnen und die notwendigen Schritte zur Bewältigung, Strafverfolgung oder auch Geltendmachung von Schadensersatz eigenständig gehen. Andere trügen Jahrzehnte lang an einer Straftat, litten und schwiegen. Niemandem stehe es zu, jemanden deshalb zu kritisieren. „Das Schlimmste waren die Vorwürfe der Kinder“, habe ihr eine ältere Dame geschildert, die bei einem Enkeltrick einen fünfstelligen Betrag verloren hatte.

Daneben seien Opfer oft stark durch das Gefühl belastet, im Stich gelassen worden zu sein. Eine 17-Jährige, die als Kind von ihrem Stiefvater zu sexuellen Handlungen genötigt worden war, habe dem Richter gesagt, sie könne sich vorstellen, irgendwann wieder mit ihrem Vater zu reden, nicht aber mit ihrer Mutter, die immer auf Seiten des Vaters gestanden habe. Die 17-Jährige habe sich mehr durch ihre Mutter als durch den Täter verletzt gefühlt.

Verletzen könne auch, wenn andere entscheiden wollten, wann das Leben wieder normal werden solle. Gut gemeinte Aufforderungen, es gut sein zu lassen, könnten ein Opfer kränken und in die Isolation treiben. Sie würden als fehlende Empathie oder gar Bagatellisierung erfahren und gewertet. „Nur das Opfer kann den Zeitpunkt der Rückkehr in den Alltag bestimmen“, sagte Auchter-Mainz.

Für viele Opfer sei eine Begegnung mit dem Täter – etwa in der Hauptverhandlung – angstbesetzt. Viele fragten sorgenvoll, ob ein Täter noch in Haft sei oder wann er wohin entlassen werde. Andere suchten das Gespräch, um zu klären, warum gerade sie Opfer geworden sind. „Wenn sie hören, dass sie zufällig Opfer geworden sind, kann dies entlastend wirken“, erklärte die Opferschutzbeauftragte. Wieder andere wollten dem Täter klar machen, was er ihnen angetan hat. „Und sie wollen im besten Fall ein Wort des Bedauerns oder der Reue hören.“ Gerade im Jugendstrafrecht habe sich das Instrument des Täter-Opfer-Ausgleichs bewährt. Solche Kontakte könnten Ängste abbauen und entlastend für die Opfer wirken. Oft könnten sich am Ende beide wieder in die Augen schauen.

Beim Erstkontakt zwischen Opfer und Polizei oder Justiz sei ein fairer und guter Umgang bei der ersten Vernehmung besonders wichtig. Ein Opfer dürfe sich nicht abgewimmelt fühlen oder meinen, dass ihm Misstrauen entgegenschlage. Davon sei sauber zu unterscheiden, ob nachher ein Tatnachweis geführt werden könne und ob es zu einer Verurteilung komme. Auch während eines Ermittlungsverfahrens bis zur Hauptverhandlung und zum Urteil müsse das Opfer verständnisvoll und wertschätzend behandelt sowie verständlich und umfassend informiert werden. In dem Kontext begrüßte die Opferschutzbeauftragte eine umfassende psychosoziale Begleitung aller Opfer.

„Sehen wir hin“, schloss sie, „ich möchte Sie ermuntern, aufmerksam und wachsam, solidarisch und einfühlsam zu sein.“ Jeder könne etwas für Menschen tun, die von Gewalttaten betroffen seien: „Wir alle können und müssen Opfer wahrnehmen und ihnen eine Stimme geben.“

Martin Wißmann

Bildunterschrift: Warb beim ersten Geistlichen Themenabend in der Fastenzeit im St.-Paulus-Dom um Einfühlsamkeit für Menschen, die zu Opfern geworden sind: Elisabeth Auchter-Mainz, Opferschutzbeauftragte des Landes Nordrhein-Westfalen. Foto: Bischöfliche Pressestelle/Jakob Kuhn