Plötzlich aus dem Alltag herausgerissen

, Kreisdekanat Coesfeld, Kreisdekanat Warendorf

Das hatten sich Larissa Mersmann aus Billerbeck und Linda Heinrich aus Oelde anders vorgestellt. Im vergangenen Sommer starteten die beiden weltwärts-Freiwilligen des Bistums Münster gemeinsam ihren Dienst in Ruanda. Sie wohnten in der Hauptstadt Kigali und engagierten sich in Gahanga in einer Einrichtung für Menschen mit geistigen und körperlichen Behinderungen, die von Ordensfrauen geleitet wird. Doch statt nach geplanten zwölf Monaten zurückzukehren, ging es für die beiden Frauen bereits vier Monate früher am 21. März zurück nach Deutschland.

In einem großen Raum sind Menschen mit Behinderung in Rollstühlen zu sehen. Zwei junge Frauen kümmern sich um sie.

Larissa Mersmann und Linda Heinrich unterstützten in Ruanda die Mitarbeitenden in einer Einrichtung für Menschen mit geistigen und körperlichen Behinderungen.

© Privat

„Montags haben wir erfahren, dass das Bistum uns wegen der Corona-Pandemie zurückholt. Donnerstags sind wir schon geflo-gen. Zum Glück, denn freitags wurde der Flughafen geschlossen“, blickt Mersmann zurück und fügt traurig hinzu: „Wir sind plötzlich herausgerissen worden.“ Samstags zuvor sei der erste offizielle Corona-Fall in Ruanda bekannt geworden. Die Behörden in dem afrikanischen Land hätten schnell reagiert. „Viele Geschäfte wurden geschlossen, und an den Märkten haben sie Waschbecken aufgestellt, denn nicht jeder Haushalt hat eine eigene Wasserver-sorgung“, berichtet die 19-Jährige.

Dabei hätten sie sich gerade richtig wohl gefühlt. Sie hatten Krankheiten überstanden, sich an das Großstadtleben gewöhnt und konnten sich schon ganz gut in der Landessprache Kin-yarwanda unterhalten. Die Arbeit machte ihnen große Freude. „Wir haben die Lehrerin und den Physiotherapeuten unterstützt“, berichtet Mersmann von ihren Aufgaben. Besonders schmerzt sie nun der Gedanke, dass niemand mehr Zeit für die zusätzliche Förderung der Kinder hat. „Es war schön zu sehen, wie sich die Bewohner weiterentwickelt haben, wenn wir individuell mit ihnen zum Beispiel die ruandische Zeichensprache oder Rechnen trainiert haben“, berichtet die Billerbeckerin.

Ende Februar hätten sie von den Ansteckungen in Deutschland erfahren. „Doch für uns war das Thema weit weg und noch nicht auf dem afrikanischen Kontinent angekommen“, erzählt Mersmann. Als die Nachricht zur bevorstehenden Abreise kam, hätten sie und Linda über-legt, ob sie noch einmal in das Center gehen sollten, um sich von den 35 Bewohnerinnen und Bewohnern sowie den Ordensfrauen und Mitarbeitenden zu verabschieden. „Wir waren uns nicht sicher, ob wir das riskieren konnten. Denn die Menschen im Center gehören zur Risiko-gruppe. Wir sind viel unterwegs gewesen und hatten außerhalb der Einrichtung zahlreiche Kontakte. Wir wollten auf keinen Fall den Virus in das Center tragen“, erklärt sie. Nach Ab-sprache mit den Verantwortlichen war dann aber für sie klar, dass sie ein letztes Mal in das Center gehen werden. „Auf der einen Seiten hatten wir einen wunderschönen Tag. Auf der anderen Seite waren wir aber auch sehr aufgelöst, denn wir wollten noch soviel machen“, blickt Mersmann zurück. Zuhause angekommen, habe sie oft darüber nachgedacht, wie die Menschen im Center zurechtkommen. „Ich wäre gern da gewesen, um sie in diesen schwie-rigen Zeiten zu unterstützen, denn auch die Lehrerin und der Therapeut durften lange nicht arbeiten“, hat sie erfahren. Es sei ein seltsames Gefühl gewesen, nach zuhause mit dem Wissen zurückzukehren, dass sie in Ruanda gebraucht würde. „Zudem wird die Region mo-mentan von extrem starken Regenfällen heimgesucht. Das bringt sehr viele Menschen in große Schwierigkeiten“, wurde ihr berichtet.

Auch wenn ihr Freiwilligendienst anders als geplant ausgefallen ist, ist Mersmann dankbar für die acht Monate. „Ich habe gelernt, das Leben mehr zu schätzen. Denn ich habe ein ganz anderes, viel einfacheres Leben in Ruanda kennengelernt. Und Constantine, die die Kinder unterrichtet, ist für mich ein großes Vorbild geworden. Sie ist ein herzensguter Mensch“, zieht sie ein Fazit. Ebenso sei sie in ihrem Studienwunsch bestärkt worden: „Soziale Arbeit. Ich habe gemerkt, dass es mir viel Spaß macht.“ Mersmann hofft, dass sie irgendwann die Möglichkeit hat, das Land und die Einrichtung, die sie so abrupt verlassen musste, wieder zu besuchen.

Michaela Kiepe