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Professor Dr. Karl-Rudolf Korte: „Demokratie lebt von Auseinandersetzung“

, Bistum Münster

„Fürchtet euch nicht“ – mehr als 100 Mal wird dieser Satz – oder die Variante „Fürchte dich nicht“ – in der Bibel gesagt. Und er überschreibt den Vortrag „Wählen und regieren in der Coronakratie. Politologische Beobachtungen am Krisenrand“ von Professor Dr. Karl-Rudolf Korte, Direktor der NRW School of Governance, am Mittwochabend im Rahmen der Domgedanken „Demokratie – ein Auslaufmodell?“ vortrefflich, denn: „Wir sind Sicherheitsdeutsche. 

Domgedanken zum Thema „Wählen und regieren in der Coronakratie“

Und so wählen wir auch. Ein dramatischer Richtungswechsel bei der Bundestagswahl im September steht nicht an. Die Demokratie ist stabil.“ Das Anliegen des Politikwissenschaftlers: den Zuhörenden im St.-Paulus-Dom und denen, die den Vortrag über den Live-Stream im Internet verfolgen, „ein beruhigendes Gefühl von Hoffnung und Zuversicht in außergewöhnlichen Zeiten zu vermitteln.“

betont Professor Dr. Karl-Rudolf Korte

Das falle durchaus nicht leicht, nach den Jahren des „merkeligen Sicherheitsgefühls“. „Erst jetzt merken wir, dass Angela Merkel nicht mehr zur Wahl antritt. Es stellt sich die Frage, wem wir das gleiche Vertrauen künftig übertragen“, sagt er. War die Kanzlerschaft Merkels gekennzeichnet von Wirklichkeitsgehorsam, habe doch der Möglichkeitssinn gefehlt. So beschreibe man keine Ziele, und ohne diese gebe es keinen Streit. Der Politikwissenschaftler resümiert: „Aus dieser Situation der Sehnsucht nach Veränderung und der nach Stabilität, machen wir Deutschen Koalitionen. Wir wählen keine Change-Maker.“ Das werde auch in den bereits stattgefundenen Wahlen während der Corona-Pandemie sichtbar: „Die Extreme sind geschrumpft, die Mitte wurde bunter und gestärkt.“ Rückblickend sagt er: „Selbst bei der Wahl 2017, als das Thema der Migration stark polarisiert hatte, haben sich 73 Prozent der Wählenden für die politische Mitte entschieden.“

Die Wahrnehmung des Staates ist derzeit laut Korte, dass dieser wichtig ist, es habe sich gar in der Pandemie eine Art „Staatsfrömmigkeit“ herausgebildet. Das berge auch Frustpotenzial, das sich zumeist in öffentlicher Unzufriedenheit äußere. Orientierung biete da gute politische Kommunikation unterstützt durch professionellen Journalismus, der seine Gatekeeper-Funktion ausübe. „Die Rolle der Medien ist in Krisenzeiten eine immens wichtige“, betont er. Gerade wenn, wie in den sozialen Medien, diese Funktion fehle, bildeten sich kleine, laute, gut inszenierte und kompromisslose Gegenöffentlichkeiten. „Es geht für uns darum, eine Medienmündigkeit zu entwickeln. Denn die Qualität von Öffentlichkeit ist maßgeblich für die Qualität von Demokratie“, so der Experte. Auch hier gelte: „Wir sind von Streit entwöhnt, dabei ist genau das ein Gewinn für die Demokratie. Es geht darum, nicht kommunikativ in seiner Blase zu verbleiben, sondern rauszugehen aus dem politischen Autismus. Das ist eine Herausforderung in Zeiten der Digitalisierung, in der andere Meinungen einfach weggeklickt werden können, und in denen durch die Omnipräsenz des Smartphones niemand mehr schlicht und ergreifend auch mal weg ist.“ 

Resilienz oder Widerstandfähigkeit sei ein weiterer entscheidender Aspekt im Zusammenhang mit der anstehenden Wahl: „In der Pandemie sind Glaubenssätze gepurzelt. Oder haben Sie sich vorstellen können, dass so Vieles vom Homeoffice aus möglich ist? Es geht nun darum, der Rettung eine Richtung zu geben, ein lenkender, kluger, Vorsorgestaat wird gebraucht“, erklärt Korte. Zudem sei die Solidarität gewachsen und der Wert der Freiheit ist uns wichtiger geworden, sie werde stärker wertgeschätzt, das sei kein Nachteil – ganz im Gegenteil. Die Pandemie habe alle überrascht – auch die Politik. „Wie geht eine moderne Politikerin, ein moderner Politiker um mit Nicht-Wissen? Verfügt sie oder er über ein gewisses Maß an Verunsicherungsfähigkeit? Ist sie oder er lernfähig? Kann sie oder er Unberechenbarkeit von Ereignissen akzeptieren“, das alles sind laut dem Parteien- und Wahlforscher Kriterien für diese Unikatwahl in pandemischen Ausnahmezeiten.

„Die Demokratie ist eine optimistische Staatsform. Sie lebt von der Auseinandersetzung, dem Ringen um Konsens. Angst zu haben, ist schlecht für die Demokratie“, schließt Korte und Dompropst Kurt Schulte ergänzt: „Christ sein und Angst haben – das passt nicht zusammen.“

Am kommenden Mittwoch, 25. August, ist Professorin Dr. Hedwig Richter aus München zu Gast im St.-Paulus-Dom. Die Historikerin spricht zu dem Thema „Demokratie – eine Fiktion? Warum sich eine Auseinandersetzung mit ihrer Geschichte lohnt.“ Am Mittwoch, 1. September, teilt Joachim Gauck, Theologe und ehemaliger Bundespräsident seine Gedanken zum Thema „Demokratie in Frage? Anmerkungen zur Diagnose und Therapie“, bevor der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn die Reihe Domgedanken am 8. September für dieses Jahr mit seinem Vortrag „Demokratie – das Fundament Europas. Anmerkungen zur Kraft freiheitlicher Staatsformen“ beschließt. Beginn ist jeweils um 18.30 Uhr, eine Anmeldung ist unter www.paulusdom.de erforderlich. Alle Termine überträgt das Bistum Münster live im Internet unter www.bistum-muenster.de , www.paulusdom.de sowie auf der Facebook-Seite und auf dem Youtube-Kanal des Bistums Münster.

Gefördert wird die Reihe der Domgedanken seit ihrer Premiere im Jahr 2015 von evonik Industries.