Publizist Avi Primor beleuchtete die deutsch-israelische Freundschaft

, Bistum Münster

40 Minuten können sehr lang sein. Sie können aber auch wie im Flug vergehen. So geschehen beim Vortrag des Publizisten und Diplomaten Avi Primor. Der 83-Jährige sprach am Mittwoch, 29. August, im voll besetzten St.-Paulus-Dom bei der Vortragsreihe „DomGedanken“, die unter dem Oberthema „Über Deutschland“ steht. Eigens aus Tel Aviv angereist, plauderte Primor, der von 1993 bis 1996 Botschafter Israels in Deutschland war, über die Anfänge der deutsch-israelischen Freundschaft, ihre Brüche, ihre Qualität. „Heute sind die Beziehungen nicht nur die allerbesten, sondern ich betrachte sie überhaupt als ein Wunder“, bewertete er das Miteinander. 

Avi Primär steht am Pult und spricht im St.-Paulus-Dom.

Der Publizist und Diplomat Avi Primor nahm die Zuhörer im St.-Paulus-Dom mit auf eine persönliche Reise durch die Geschichte der deutsch-israelischen Freundschaft.

© Bischöfliche Pressestelle/Thomas Mollen

„Die Anfänge dieser Freundschaft sind weitaus älter, als es den meisten bekannt ist“, begann Primor seine Reise durch die Geschichte. Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts hätten sich Mitglieder der Tempelgesellschaft aus dem Königreich Württemberg auf den Weg ins Heilige Land gemacht. „Ihnen haben wir viel zu verdanken. Sie haben den Fortschritt gebracht, und die Beziehungen zwischen Deutschen und Juden waren vorzüglich“, berichtete Primor über eine Zeit, die in Vergessenheit geraten sei. Im Ersten Weltkrieg ausgewiesen, seien die Templer aber zwei Jahre nach Kriegsende wieder nach Israel zurückgekehrt. „Die Beziehungen waren weiterhin die besten. Doch dann kam die Zeit der Nationalsozialisten“, erzählte Primor, Sohn einer deutschen Mutter, weiter. Die Templer seien in einer Zwickmühle gewesen. Sie waren treue Deutsche und wurden deshalb von den Engländern nach Australien vertrieben. „Nach dem Krieg wussten die Menschen in Israel von den Deutschen nur, dass sie Nazis waren“, erzählte Primor weiter. Für die Israelis sei es unvorstellbar gewesen, miteinander zu sprechen. Entsprechend sei der erste Ministerpräsident Israels, David Ben-Gurion, für seinen Kontakt zu Konrad Adenauer kritisiert worden. „Wir hatten zwar unsere Unabhängigkeit und einen eigenen Staat. Aber es gab keine Industrie, wir waren arm. Dazu kam, dass wir – die 600.000 Einwohner Israels – rund zwei Millionen Überlebende und Flüchtlinge der Shoah aufgenommen haben“, erzählte Primor. Keine ausländischen Investoren seien bereit gewesen, dem Land Geld zu geben, das in ihren Augen nicht überlebensfähig war. 

Die Hartnäckigkeit, mit der Ben-Gurion das Wiedergutmachungsabkommen mit Deutschland in Israel durchgesetzt habe, sei belohnt worden. „Durch die Maschinen, die wir aus Deutschland erhalten haben, konnte die israelische Wirtschaft aufgebaut werden. Das hat uns aus unserer tragischen Situation gerettet“, bewertete Primor. Allerdings brauchte es Menschen, die die Arbeiter an den neuen Maschinen schulten. Deshalb seien israelische Experten nach Deutschland gefahren. „Sie hatten sich fest vorgenommen, nicht mit den Deutschen zu sprechen. Dieser Vorsatz ist oft schon in der ersten gemeinsamen Kaffeepause gescheitert. Eher widerwillig und schrittweise haben sich zwischenmenschliche Beziehungen entwickelt“, berichtete Primor. So seien immer mehr Beziehungen bis hin zu Freundschaften aufgebaut worden: „Wenn man mit einem Menschen spricht, ist er kein Gespenst mehr“, brachte es der Diplomat auf den Punkt. 

Überlegungen, nach Ablauf des Abkommens, keinen Kontakt zu den Deutschen zu halten, seien ad absurdum geführt worden. „Wir hatten uns an die deutsche Industrie gewöhnt. Das hält bis heute“, sagte Primor. Allerdings habe sich etwas gewandelt. Während rund 80 Prozent der Deutschen 1965 die diplomatischen Beziehungen begrüßt hätten, wollten 80 Prozent der Israelis damals keinen Kontakt. „Heute sind 80 Prozent der Deutschen gegenüber Israel kritisch. Das hängt mit der Besatzung der palästinensischen Gebiete zusammen. Dagegen sprechen 80 Prozent der Israelis heute davon, dass Deutschland der beste Freund in der Welt sei“, stellte er dar. 

Noch habe sich an den guten israelisch-deutschen Beziehungen nichts verändert. „Das wird auch unter Angela Merkel als Bundeskanzlerin so bleiben. Sie steht unserem Land positiv gegenüber, obwohl sie der Außenpolitik Israels überhaupt nicht zustimmt. Sie wird uns weiterhin unterstützen. Aber: Wie lange kann so etwas halten?“, fragte er. Wenn sich die israelische Politik nicht verändere, „wenn wir nicht irgendwann verstehen, dass wir keine Besatzer sein können, und dass die Palästinenser auch in Würde leben müssen – genau wie wir –, wird das nicht nur unsere Beziehungen zur arabischen Welt, sondern auch mit anderen Staaten und vor allem mit Deutschland in Gefahr bringen“, schätzte er die augenblickliche Lage ein. Ob die Beziehungen halten würden, hänge vor allem von den Beziehungen zwischen Israel und den Palästinenser ab. „Und das ist ein Kapitel für sich, das heute sehr schmerzhaft ist“, beendete Primor seinen Vortrag, für den er von den Zuhörern lang anhaltenden Applaus erhielt. Musikalisch wurde der Abend von Lutz Wagner am Violoncello und Domorganist Thomas Schmitz an der Orgel gestaltet.

Die DomGedanken gehen an drei Mittwochabenden weiter. Am 5. September wird Prof. Dr. Thomas Sternberg, Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), zu „Der Christ ist kein Nationalist – im Auftrag der besten Traditionen Europas“ sprechen. Am 12. September geht es mit der Schriftstellerin Ulla Hahn um „Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt?“. Den Schlusspunkt setzt am 19. September Christian Kullmann, Vorstandsvorsitzender der Evonik Industries AG, mit „Für die freiheitlich-soziale Moderne – Verantwortungsethik als Schlüssel“.

Der Eintritt zu den DomGedanken-Abenden ist frei. Im Anschluss sind die Zuhörer zum Austausch mit den Referenten eingeladen. Alle Termine werden live im Internet übertragen unter: www.bistum-muenster.de, www.paulusdom.de , www.katholisch.de, www.kirche-und-leben.de sowie unter www.youtube.com/user/BistumMuenster/live.

Michaela Kiepe