Schönstatt-Jugend aus Borken küren Helden des Alltags

Es ist verdammt dunkel im Wald bei Haus Hall. Den Weg hierher hat das Navigationsgerät im Auto noch gut gefunden. Kurz vor den Toren der Einrichtung für Menschen mit Behinderung beim münsterländischen Gescher versagt es aber seine Dienste.

Sie landen vor einem Schweinestall mitten in der Wildnis. Annika Böggering und Theresa Spränger ist es etwas schummrig zumute. Kein Wunder – es ist drei Uhr in der früh, und kein Mensch weit und breit zu sehen.

Dabei suchen sie gerade den. Denn sie haben sich auf den Weg gemacht, um ihn zu feiern. Im kleinen zwar, ohne großes Aufheben, aber deshalb nicht weniger aufrichtig. Die beiden jungen Frauen der Schönstatt Mädchenjugend in Borken sind gekommen, um einen "Helden des Alltags" zu küren. 72 davon wollen sie während der 72-Stunden-Aktion aufsuchen, jede Stunde einen. Mit kleinen Geschenken im Gepäck: Eine Urkunde, eine Topfblume und einen kleinen Kuchen.

"Wer genau es hier sein wird, ist eigentlich egal", sagt Böggering. "Wir suchen jemanden, der sich über seinen normalen Dienst hinaus einbringt und sich für seine Sache begeistern lässt – stellvertretend für alle anderen in dieser Einrichtung." Und sie suchten jemanden, der sonst nicht so sehr dafür gefeiert werde und es deshalb einmal verdient habe.
Wohin sie fahren sollten, um ihn zu finden, hat ihnen ein kleiner Zettel aufgetragen, den sie vor etwa einer halben Stunden aus dem Umschlag in ihrem Gruppenraum in der Schönstatt-Au in Borken gezogen haben.

Jetzt aber müssen sie sich erst einmal ohne Navigationsgerät orientieren. Auf Umwegen kommen sie zum großen Gebäudekomplex der bischöflichen Stiftung Haus Hall. Immer noch bleibt es gespenstisch, als sich die beiden Frauen auf die Suche nach einer offenen Tür machen. Hier und da schimmert Licht durch die Fenster, aber keine Klinke, die sie drücken, gibt nach. Schließlich stellen sie Blumen, Kuchen und Urkunde vor die Eingangstür. "Die Menschen hier können sich auch noch morgen früh freuen."

Es bleibt keine Zeit, weiter zu suchen. Ein weiterer Auftrag wartet im nächsten Umschlag. Der hängt aber noch an der großen Aktionswand im Gruppenraum in der Schönstatt-Au. Wie bei einem Advenstkalender wartet dort hinter jedem "Türchen" eine neue Herausforderung. "Überraschung muss sein", sagt Böggering, die mit ihrem Aktionsteam alles vorbereitet hat. Etwa 20 junge Frauen sind jetzt im Einsatz, in Schichten aufgeteilt.

"Eine Altenpflegerin während der Nachtschicht", steht auf dem nächsten Briefchen. Auch diese Aufgabe übernehmen Annika Böggering und Theresa Spränger. Ihr Einsatz wird erst um acht Uhr enden. Also wieder ins Auto und zum nächsten Ziel. "Wir versuchen es mal im Altenzentrum St. Josef."
Aber auch dort scheint niemand auf den Beinen zu sein. Dieses Mal wollen sie sich aber nicht so einfach geschlagen geben und finden tatsächlich eine offene Tür.

Dahinter: Gänge im abgedunkelten Nachtlicht, kein Laut ist zu hören. Die jungen Frauen bewegen sich vorsichtig. "Wir wollen ja keinen wecken."
Dann endlich helles Licht hinter einer Tür. Ein besetztes Dienstzimmer, die Frau dahinter erschrickt ein wenig, als sie klopfen. "Wir kommen von der 72-Stunden-Aktion und wollen sie als Heldin des Alltags küren."

Einige Erklärungen sind notwendig, damit die aus Polen stammenden Pflegerin versteht, worum es geht. Viel sagt sie nicht, aber die Rührung ist ihr anzusehen. Ein Lächeln von ihr und wenige Worte reichen, um zu zeigen, wie es ihr geht: "Ich habe eine Gänsehaut."

Jeder Besuch ist anders. So wie die Menschen, die besucht werden. Die Mischung ist bunt. "Uns war es wichtig, Helden zu finden, die sich gar nicht als solche fühlen." Keine, die in Anerkennung schwelgen wollen.
"Im Kleinen engagiert, das macht sie für uns viel greifbarer und verständlicher." Die Freude der Gekürten sei umso größer.

Und so kommen in diesen 72 Stunden Erzieherinnen, Rot-Kreuz-Helfer, Bademeister, Polizisten, Krankenschwestern oder Zugschaffner rund um Borken in diesen Genuss. Die Briefe mit den Aufträgen halten oft Überraschendes bereit. So darf sich auch die nette Dame freuen, die oft schon Essen für die Jugend-Theatergruppe gebracht hat, wenn die Proben mal länger dauerten. Oder die italienische Inhaberin der großen Eisdiele in Borken, die immer freundlich bleibt, auch wenn die Jugendlichen an ihren Tischen manchmal recht laut feiern.

Es treffe immer den Richtigen. Da ist sich Annika Böggering bei allen 72 Kandidaten sicher. Sie ist am Nachmittag wiedergekommen, nachdem sie in der Stadt Plakate für die Waffel-Aktion geklebt hat. Wieder wird ein Brief geöffnet, ein ehrenamtlicher Trainer soll es sein. In einer Sport-Halle finden sie Heiner Kiebel, einen pensionierten Grundschullehrer. Der 67-Jährige bringt eine Gruppe junger Basketballer gerade das richtige Dribbeln bei. "Ich bin wirklich gerührt", gibt er zu. Zwar machten ihm seine vielen Stunden in den Turnhallen Spaß, aber "etwas Anerkennung von außen tut richtig gut".

Das sind die Momente, warum die Schönstatt-Mädchen einen solchen Spaß bei ihrer Aktion haben. Denn die Frage, warum sie sich für eine solche Sache einsetzten, sei nicht selten. "Ich bekomme sie von Schulkameraden immer wieder gestellt", sagt Lioba Gantefort, die bei dieser Nachmittagsschicht im Einsatz ist. Dabei stehe immer die Rechnung im Raum, was für ein Nutzen für sie selbst bei einer solchen Aktion herauskomme. Nur dann lohne sich in den Augen vieler ihr Verzicht auf Freizeit und ausgedehntes "Chillen". Der Ertrag dieser Tage sei für sie aber ein anderer. Wenn sie die Freude der "Helden" sehe, sei das Lohn genug. "Ich kann mit ihnen lächeln – schöner geht’s doch nicht, oder?"

Text: Michael Bönte
Kontakt: pressestelle[at]bistum-muenster.de