Schüler diskutieren über historische Justizprozesse

, Stadtdekanat Münster

Mit der Frage nach dem politischen und ethischen Stellenwert historischer sowie aktueller Justizprozesse gegen Kriegsverbrechen haben sich 50 Schülerinnen und Schüler aus Münster am 31. Oktober auseinandergesetzt. Die jungen Frauen und Männer aus den Oberstufen der münsterischen Gymnasien nahmen an der Schülerakademie „Dialoge zum Frieden“ teil. Der Studientag, der jährlich von der Akademie Franz Hitze in Kooperation mit der Stadt Münster veranstaltet wird, stand in diesem Jahr unter der Überschrift „Kein Frieden ohne Gerechtigkeit? Justizprozesse im Spiegel von Geschichte und Gegenwart“.

Mit dem Polizeibeamten Rainer Stoye erarbeiteten die Schüler bei einem Planspiel zum Thema Kriegsverbrechen vor Gericht ein Plädoyer.

© Bistum Münster

Das Theaterstück „Der Ordner“, ein Stück gegen das Vergessen auf Grundlage eines Originaldokuments, führte die Schüler in die Thematik ein. Darin erhält Enkelin Stephanie von ihrer Großmutter eine Kladde mit den Prozessunterlagen ihres Großvaters Walter Pohl, der aufgrund seiner Mittäterschaft im Nazi-Regime des Mordes angeklagt und freigesprochen wurde. Bei der Lektüre trifft sie auf den sehr lebendigen Geist ihres Großvaters und konfrontiert ihn mit nie gestellten Fragen. Die Inszenierung durch das „Theater FreiFrau“ habe viele Fragen aufgeworfen, erklärte Rena Ronge vom Friedensbüro der Stadt Münster: „Prägen uns die Taten oder Untaten unserer Großväter? Beeinflussen sie uns noch heute und machen uns schuldig? Dürfen wir solche ‚Ordner‘ jemals schließen?“

Einen Einblick in die Polizeiarbeit der letzten NS-Kriegsverbrecherprozesse gab Rainer Stoye. Der Polizeibeamte berichtete, wie Polizei und Justiz früher und heute NS-Massenverbrechen aufgeklärt haben. „Mord verjährt im deutschen Strafrecht nicht“, unterstrich er, „aber die Beweisführung ist in der Rückschau schwierig und muss ausgesprochen genau erfolgen.“ Deshalb sei es wichtig, Opferzeugen, also Überlebende, zu finden und Tatorte exakt zu untersuchen, natürlich unter entsprechender Rechtshilfe und Kooperation mit Strafverfolgungsbehörden.

Anschließend wurden die Schüler selbst zu Rechtsanwälten und Staatsanwälten. In einem Planspiel beschäftigten sie sich mit dem Fall „Johann R.“, der als SS-Wachmann im Alter von 21 Jahren im KZ Sutthoff dabei geholfen haben soll, hunderte Häftlinge zu ermorden, sowie mit dem Fall „Abu Dieb“, einem Flüchtling aus Syrien, der eine Zeitlang unter falschem Namen in Münster lebte und dem vorgeworfen wird, dass er auf bestialische Weise in seiner Heimat Menschen gefordert und ermordet haben soll. Die Schüler wälzten Akten, studierten Zeugenaussagen und machten sich mittels Lageplänen ein Bild vom Tatort. Am Ende trugen sie ihre ausformulierten Plädoyers vor. 

Sarah Klosterkamp, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Geographie an der Universität Münster, vertiefte abschließend den Fall „Abu Dieb“, der auch der „Wolf von Aleppo“ genannt wird. Gemeinsam mit den Schülern diskutierte sie darüber, ob es Gerechtigkeit geben kann und wie es dazu kommen kann, dass deutsche Gerichte Recht sprechen über syrische Kriegsverbrechen.

Ann-Christin Ladermann