Wenn der Rahmen wegbricht

, Bistum Münster

Der Tod gehört zum Leben – eine selbstverständliche Erkenntnis, die aber den Abschied von einem geliebten Verstorbenen nicht erleichtert, erst recht nicht in Zeiten der Corona-Pandemie, wo Einschränkungen und Vorschriften die Verabschiedung begrenzen, erschweren und manchmal verhindern. Dieser Situation, ihren aktuellen wie langfristigen Auswirkungen und den Konsequenzen für die eigene Arbeit hat sich eine von der Ehe-, Familien- und Lebensberatung (EFL) im Bistum Münster organisierte Fortbildung für den Bundesverband der EFL gewidmet. 26 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nahmen an der digitalen Veranstaltung teil, davon die Hälfte aus dem Bistum Münster.

Dr. Ruthmarijke Smeding

Das Trauermodell der Referentin Dr. Ruthmarijke Smeding beruht auf einem integrierten spirituellen Menschenbild. Sie sieht Trauer als Lernprozess und eine der größten Herausforderungen im Leben.

© H. Tichova

Referentin war Dr. Ruthmarijke Smeding. Die international anerkannte Psychologin arbeitet seit 35 Jahren an der Entwicklung und Durchführung von Lernprogrammen in Kliniken, Hospizen und Universitäten. Ihr Trauermodell beruht auf einem integrierten spirituellen Menschenbild und setzt nicht auf psychotherapeutische Ansätze. Vielmehr sieht sie Trauer als Lernprozess und eine der größten Herausforderungen im Leben.

In diesem Sinne legte das Seminar den Fokus auf den Umgang mit Trauer in der Beratung und die Begleitung der Angehörigen. Mit Blick auf die Pandemie sagte die Referentin: „Der Umgang mit Trauer ist kultur-, religions- und zeitbedingt. Dieses einsame Sterben ohne Abschied wird einen Tsunami der Trauer nach sich ziehen.“ In diesem Zusammenhang bewertete sie den bundesweiten Gedenktag für die Corona-Opfer am 18. April als wertvollen Anfang. Diese Pandemie könne nicht nur körperlich krankmachen, deshalb sei es notwendig, sich auf die seelischen Folgen vorzubereiten.

Neben den Entwicklungen durch Hospizarbeit und Palliativmedizin zeugt die Aufnahme der „verlängerten Trauer“ durch die Weltgesundheitsorganisation WHO in den Internationalen Katalog der Diagnosen auch schon vor der Pandemie von einem sich abzeichnenden weiteren Wandel im Umgang mit Trauer.

Darauf ging Smeding während der Fortbildung ein: „Diese Diagnose-Möglichkeit kann hilfreich sein, wenn die Trauer sonst keinen guten Landungsort hat“, erläuterte sie, „denn so kann eine Therapie von der Krankenkasse übernommen werden.“ Allerdings sei gerade anfänglich auch eine „Überdiagnostizierung“ zu erwarten, man könne die „Pathologisierung von Trauer“ befürchten.

Auf die  EFL-Beratung kommt eine bedeutsame Differenzierungsarbeit zu. Die Vorbereitung auf die seelischen Pandemie-Folgen ist in der EFL ein großes Thema. „Sich fachlich auf etwas vorzubereiten, was erst langsam in der Beratung ankommt, ist eine neue Herausforderung“, sagt Annette Hopf, Fortbildungsreferentin der EFL. Dabei gehe es ja nicht nur um die Trauer um Corona-Opfer, sondern um die vielen Abschiede, die mit Einschränkungen oder gar nicht stattgefunden hätten.

In der Folge überschreite das Trauern oft im Sinne der WHO-Klassifizierung soziale, kulturelle oder religiöse Normen – „Trauer, die oft keinen Rahmen mehr hat und ein neuer Rahmen noch gefunden werden muss “, beschreibt es Hopf.

Für die Beratung und Begleitung solcher Trauernden durch die EFL sei Smedings Konzept „Trauer erschließen“ ein wertvoller Ansatz. „Es ist eine Haltung, Respekt vor der Würde der Untröstlichkeit, ein Mitgehen auf einem Weg, den der Trauernde erschließt“. In der Fortbildung habe man an die Frage nach dem Rahmen der Trauer auch die „praktische Fortsetzung der beraterischen Überlegungen“ angeschlossen.

Für die kommende Herausforderungen wird die Vernetzung der Hilfen angestrebt,  ein erstes Netzwerktreffen mit anderen pastoralen Diensten im Bistum Münster wie beispielsweise dem Seelsorge-Personal ist angeplant.

„Das Seminar war ein gutes Beispiel für das Proprium der EFL-Arbeit“, bilanziert Hopf, „die kontinuierliche Fortbildung der EFL-Beraterinnen und -Berater ist nicht nur ein fachlicher Qualitätsstandard psychosozialer Beratung – schließlich ist die EFL fester Bestandteil in der kommunalen psychosozialen Versorgung – sondern die fachliche Kompetenz ist hier integriert in den christlichen Auftrag der Sorge um den Menschen in Not. Und seelische Not ist spürbar, vielerorts, vielleicht noch sehr leise, aber sehr schmerzhaft.“ Man bereite sich darauf vor, dass „christliche Seelsorge mit psychosozialer Kompetenz“ mehr denn je benötigt werde.