Altbischof Dr. Erwin Kräutler ist verärgert. In seiner Wahrnehmung ist die Weltklimakonferenz in Bonn ohne nennenswerte Ergebnisse zu Ende gegangen. Zwar sei der Klimawandel als Tatsache anerkannt, gemeinsame, verbindliche Maßnahmen dagegen aber nicht gefunden worden. So werde in Deutschland auch weiterhin Energie aus Kohle gewonnen.
Der gebürtige Österreicher hat in Brasilien über Jahrzehnte die Diözese Xingu am Amazonas geleitet. Dort hat er sich besonders für die Anliegen der indigenen Bevölkerung und die Erhaltung ihres Lebensraumes eingesetzt, auch unter Einsatz seines eigenen Lebens. Für Papst Franziskus war der Ordensmann von den Missionaren vom Kostbaren Blut ein wichtiger Im-pulsgeber für dessen Umweltenzyklika „Laudato Si“.
Über seine Erfahrungen am Amazonas und die Diskrepanz zwischen einem naturnahen Leben der Indios im Regenwald und den Interessen der globalen Wirtschaft hat Kräutler am 28. November in der Münsterschen Akademie Franz Hitze Haus gesprochen. Veranstaltet wurde der Abend in Kooperation mit dem Institut für Politik und Theologie in Münster.
Kräutler kämpft seit Jahren gegen den Bau des Wasserkraftwerks Belo Monte, das weite Teile des Amazonasgebietes seiner Diözese vernichtet. Über drei Talsperren soll der Fluss Yingu zu zwei Stauseen aufgestaut werden. Mit gravierenden Auswirkungen für Mensch und Natur. Dagegen setzt sich der Bischof ein: „Es ist unsere Pflicht im Namen Gottes und der Menschen“, erzählt er mit funkelnden Augen. „Der Regenwald hat eine klimaregulierende Funktion. Wenn der ausfällt, oder gestört wird, merken wir das auch hier in Europa“, erklärt er den Zuhörenden im voll besetzen Saal der Akademie. „Wir brauchen die Erde, sind ein Teil von ihr und tragen Verantwortung für sie, eben weil wir dazu gehören.“ Und mit Blick auf die Umweltenzyklika fährt er fort: „Das Land ist kein Wirtschaftsgut, sondern eine Gabe Gottes und der Vorfahren.“ Eine Kampfansage an rein wirtschaftliche Interessen.
Kräutler, der von sich sagt, er sei ein in Österreich geborener Brasilianer, weiß einen starken Fürsprecher hinter sich: Papst Franziskus. Am Vorabend der Enzyklika habe er sich mit Papst Franziskus getroffen, der ihm erzählte, er wolle über die Umwelt und die Bewahrung der Schöpfung schreiben.
„Da müssen unbedingt die indigenen Völker rein. Man kann nicht über die Umwelt sprechen, ohne auch über sie zu berichten. Das gehört zusammen“, schrieb er dem Papst in sein Stammbuch. Viele Passagen der Enzyklika sind geprägt von der Lebenserfahrung der Menschen Lateinamerikas. Kräutler hat wichtige Impulse dazu beigesteuert und die Themen soziale Gerechtigkeit und Schutz des Lebensraums verknüpft.
Ich bin keiner Partei verpflichtet, aber dem Evangelium!
Bischof Erwin Kräutler
„Politiker haben mir nahegelegt, mich auf die speziellen Aufgaben der Kirche zu konzentrieren und nicht auf die Umwelt.“ Das sei keine Aufgabe der Kirche. „Und dann verfasst der Papst so ein Schreiben!“ Kräutler freut sich sehr über die Umweltenzyklika. „Ich bin keiner Partei verpflichtet, aber dem Evangelium. Und Franziskus sagt, dass wir wagemutig sein sollen, Mut haben und unseren Standpunkt vertreten, um die Menschenrechte zu schützen – und nicht nur die Bischöfe, sondern wir alle“, nimmt der die Anwesenden mit in die Pflicht. Und den Politikern habe er gesagt, dass der Papst hinter ihnen stünde. „Wenn denen nicht passt, was wir machen, dann sollen die das mit dem Papst ausmachen.“ Begeisterter Applaus brandet ihm entgegen.
Seine Leidenschaft für die gerechte Sache ist fast mit Händen greifbar. „Es sind doch meine Leute! Als Bischof darf man auch mal ein Risiko eingehen. Schließlich bin ich Bischof für die Menschen, nicht für mich selbst. Und als Bischof habe ich einen Bund mit meinem Volk geschlossen. Mit dem ganzen Volk, nicht nur für die Katholiken.“
Die scharfe Kritik des Papstes an wirtschaftlichen und sozialen Strukturen in seiner Enzyklika provoziert die Frage, ob er, Kräutler, und der Papst Befreiungstheologen seien. „Wenn die Befreiungstheologie biblisch ist, dann ist der Papst ein Befreiungstheologe,“ so seine markige Antwort. „Gott ist kein Gott der weiten Ferne, sondern er ist mit uns unterwegs. Nicht als passiver, sondern als befreiender Gott. Und darauf bezieht sich der Papst, wenn er von der Option für die Armen spricht.“ Das sei der Auftrag Jesu. Jesus habe sich besonders für die Armen, Kranken und Unterdrückten eingesetzt. „Daher kann man schon sagen, dass der Papst in Richtung Befreiungstheologie tendiert.“
In der anschließenden Fragerunde wird Kräutler gefragt, ob Amazonien ein Lackmustest für Deutschland sein könne: „Es wird so geredet, ja. Meine Diözese ist so groß wie Deutschland und besteht aus 800 Gemeinden, die von 30 Priestern betreut werden. 90 Prozent der Menschen haben keinen regelmäßigen Zugang zur Messe, sondern höchstens zwei bis vier Mal im Jahr.“ Vielleicht sei es an der Zeit, über die Zulassungsbeschränkung zur Weihe nachzudenken, damit „dieses ‚Tut dies zu meinem Gedächtnis‘ nicht nur dann erfüllt wird, wenn zufällig ein zölibatär lebender Mann anwesend ist“, fährt er fort. Papst Franziskus lade im November 2019 zur Amazonien-Synode ein. „Vielleicht ist ja auf der Synode Platz für diese Frage. Das kann ich mir gut vorstellen“, ergänzt er mit einem verschmitzten Lächeln. – Über das Thema „Zukunft der Kirchengemeinden“ sprach Kräutler auch bei seinen beiden anderen aktuellen Vortragsterminen im Bistum in Kevelaer und Dülmen.