Diözesanrat und Bischof diskutieren Umgang mit sexuellem Missbrauch

, Bistum Münster

„Ich möchte nicht als Ziel erreichen, dass wir als Kirche wieder gut dastehen. Es geht vielmehr darum, einen Leidensweg mit den Opfern sexuellen Missbrauchs zu gehen.“ Das hat der Bischof von Münster, Dr. Felix Genn, am 15. Februar in Münster betont. Bei der Sitzung des Diözesanrates, des obersten synodalen Mitwirkungsgremiums im Bistum, stand das Thema der Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs in der Kirche im Mittelpunkt.

Dabei sagte der Bischof zu, mitzuhelfen, die Strukturen, die in der Kirche falsch seien und sexuellen Missbrauch begünstigt hätten, zu ändern. „Das kirchliche Amt etwa ist nicht überflüssig, es wurde aber überhöht und hat ein Übergewicht, das falsch ist“, betonte Bischof Genn. Er habe den Eindruck, „dass wir über Generationen den Menschen nicht die Schönheit des Glaubens weitergegeben und verkündet haben, sondern das durch Moral ersetzt haben.“ Es gebe bei vielen Opfern einen „Überschuss an Leid, der nicht zu heilen“ sei, und bei manchen Tätern einen „Überschuss an Uneinsichtigkeit“.

Genn blickte zurück auf die Anstrengungen, die die katholische Kirche in Deutschland seit dem Jahr 2002 unternommen hat, um sexuellen Missbrauch im kirchlichen Raum zu bekämpfen und die Vergangenheit aufzuarbeiten. Hier sei bereits viel geschehen; es seien aber weitere Anstrengungen erforderlich: Die Akten müssten weiter aufgearbeitet werden, und kirchenrechtliche Fragen müssten auch unter der Perspektive einer kirchlichen Verwaltungsgerichtsbarkeit neu in den Blick genommen werden. „Und ich verstehe hierbei nicht, warum Priester nur von Priestern verurteilt werden sollten“, sagte der Bischof. Schließlich müssten außerdem die Fragen der priesterlichen Lebensform, der Machtverteilung und der Teilhabe von Frauen in verantwortlichen Stellungen besprochen werden.

Der stellvertretende Generalvikar des Bistums Münster, Dr. Jochen Reidegeld, erläuterte, welche Konsequenzen bereits aus der Studie über den sexuellen Missbrauch in der Kirche gezogen worden und welche noch zu ziehen seien. Es müsse darum gehen, Verantwortung für vergangenes Verhalten zu klären und Verantwortung für die Zukunft wahrzunehmen. Dabei müsse einem bewusst sein: „Gerecht werden können wir den Betroffenen nicht.“ Dennoch müsse man sich an den Interessen der Betroffenen orientieren und diese stärker an der Aufarbeitung und der Prävention von Missbrauchsfällen beteiligen. „Für viele Betroffene ist es oft der wichtigste Satz, von einem Vertreter der Kirche zu hören: Ich glaube Ihnen das, was Sie mir erzählen“, berichtete der stellvertretende Generalvikar aus seinen Erfahrungen im Kontakt mit Opfern sexuellen Missbrauchs.

Reidegeld benannte einige der ergriffenen Maßnahmen. So würden alle Personalakten, in denen Priester des sexuellen Missbrauchs beschuldigt werden, der Staatsanwaltschaft zur Verfügung gestellt. Zudem sollen externe Fachleute die Akten des Diözesanarchivs aufarbeiten. So wolle man Kenntnisse darüber gewinnen, ob die Bistumsleitung in der Vergangenheit ihre Verantwortung bei Fällen sexuellen Missbrauchs wahrgenommen hat oder nicht. „Die Betroffenen haben ein Recht auf diese Information“, sagte Reidegeld.

Er wies auch auf die neu geschaffene Stelle eines Interventionsbeauftragten hin. Dieser hat die Federführung beim Umgang mit Verdachts- und Meldehinweisen, in denen ehren-, neben- oder hauptamtliche Mitarbeitende des Bistums involviert sind. Wichtig ist laut Reidegeld zudem die Erarbeitung einer Ordnung für die Fälle, die nicht sexuellen Missbrauch, wohl aber übergriffiges und unangemessenes Verhalten gegenüber Kindern, Jugendlichen und Schutzbefohlenen darstellen. Wenn in solchen Fällen Personalentscheidungen zu treffen seien, sollen künftig verstärkt Fachleute von außen einbezogen werden. Notwendig sei zudem die Erarbeitung eines Konzeptes zur Begleitung und Kontrolle beschuldigter und überführter Kleriker. Überlegt werden müsse aber auch, wie die Personalpflege angesichts eines Klimas des Misstrauens in Zukunft aussehen könne. Priester stünden heute häufig unter Generalverdacht und kirchliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unter Rechtfertigungsdruck.

In der Aussprache würdigten die Mitglieder des Diözesanrates, dass im Bistum im Blick auf die Aufarbeitung und Prävention des sexuellen Missbrauchs „die Ärmel hochgekrempelt“ würden. Wichtig sei nun vor allem, dass die systemischen Fragen, wie die Einstellung der Kirche zur Sexualität und die Machtverteilung, zeitnah angegangen würden.

Bischof Genn informierte die Mitglieder des Diözesanrates auch über die Jugendsynode, an der er im vergangenen Jahr in Rom teilgenommen hatte. Dort sei ihm sehr deutlich geworden: „Papst Franziskus will eine synodale Kirche.“ Diese müsse von einer neuen Haltung geprägt sein, die er auf der Jugendsynode bereits erfahren habe: Die Kirche muss eine Kirche sein, die hört. „Diese Haltung bedeutet einen Paradigmenwechsel: Wir sind Hörende und haben nicht von vornherein den Anspruch, zu wissen, was für die anderen gut ist“, betonte Genn. Hierfür müsse die Kirche zunächst ohne Vorurteile nur wahrnehmen, das Wahrgenommene, die Lebenswirklichkeit, dann vor dem Hintergrund des Evangeliums deuten, um durch Unterscheidung einen Weg der missionarischen und pastoralen Bekehrung zu finden.

Dr. Stephan Kronenburg