Frühere Ordensfrau Doris Reisinger in der KSHG

, Stadtdekanat Münster

„Should I stay or should I go? Soll ich gehen oder soll ich bleiben?“ Eine Frage, die sich aktuell viele Menschen stellen, weiß Doris Reisinger. „Menschen, von denen man das nie gedacht hätte.“ Die frühere Ordensfrau war am 20. Juni zu Gast in der Katholischen Studierenden- und Hochschulgemeinde (KSHG) in Münster. Vor rund 200 überwiegend jungen Menschen sprach sie über das Leben und Ringen mit der katholischen Kirche. Reisinger ist die Autorin der Bücher „Nicht mehr ich“ und „Spiritueller Missbrauch in der katholischen Kirche“. Sie berichtet darin noch unter dem Namen Doris Wagner von sexuellem und geistlichem Missbrauch während ihrer Zugehörigkeit zum Orden „Das Werk“. Reisinger war von 2003 bis 2011 Mitglied des Ordens.

Die frühere Ordensfrau Doris Reisinger spricht zu Studierenden.

Doris Reisinger (links) sprach in der KSHG in Münster zum Thema „Should I stay or should I go?“. Moderiert wurde die Diskussion von Pastoralreferentin Hanna Liffers (rechts).

© Bistum Münster

Vor einer lebhaften Diskussion mit den Studierenden ging Reisinger konkret auf die Frage im Titel der Veranstaltung ein. „Ich werde oft gefragt, ob ich noch Mitglied der Kirche bin“, sagte sie. Ihre Vermutung: „Es geht bei der Frage nicht um mich, sondern darum, dass Menschen das Bedürfnis haben, sich an irgendetwas zu orientieren.“ Unter welchen Bedingungen kann das eigene Bleiben oder der eigene Austritt verantwortet werden? „Die Frage ist komplexer als man denkt“, betonte Reisinger. 

Rechtlich klar geregelt sei der Kirchenaustritt als verwaltungstechnischer Akt. Eine Form, die es so nur in Deutschland, Österreich und der Schweiz gebe, hob Reisinger hervor. In anderen Ländern könnten Menschen zwar auch exkommuniziert werden, aber nicht dafür, dass sie kein Geld mehr zahlten. „Der Kirchenaustritt ist ein Weg, seinen Unmut zu äußern und deutlich zu machen, dass man mit der Regierung der Kirche nicht einverstanden ist“, verdeutlichte sie. 

Doch keine Kirchensteuer mehr zu zahlen, bedeute nicht, den Glauben zu verlieren oder ihn nicht mehr praktizieren zu dürfen. Kirche zu sein, meine miteinander darüber im Gespräch zu sein, wo jeder persönlich Gott erlebe. „Aus verfassungsrechtlicher Sicht setzt das aber eine Demokratie voraus“, unterstrich Reisinger. Am Ende, so zeigte sich die frühere Ordensfrau überzeugt, habe doch jeder, ob er aus der Kirche austrete oder nicht, die Pflicht, Stellung zu beziehen. „Und es ist gerade der Kern der christlichen Botschaft, der Ihnen für diese Positionierung ein tragendes Fundament bietet“, wandte sie sich an die jungen Zuhörerinnen und Zuhörer. Angesichts der Missbrauchs- und Verantwortungskrise den eigenen Glauben in der Kirche zu praktizieren, bedeute „für die Schwachen und die Verletzten eintreten, es bedeutet Verantwortungsträger zur Verantwortung zu rufen“.

Sie appellierte an die Studierenden, sich über die aktuelle Situation in der Kirche zu informieren, sich moralisch, politisch und wissenschaftlich zu positionieren und den Kern der christlichen Botschaft zu leben. „Seien Sie als Hochschulgemeinde ein Ort, eine Gemeinschaft, wo Schwache und verletzliche Personen wissen, dass Sie willkommen sind, wo Studierende in Armut, Lebenskrisen und mit Gewalterfahrungen dazugehören und aufatmen können. Seien Sie für die Menschen in Ihrem Umfeld da, die Sie brauchen, für die Sie etwas tun können. Nicht nur, aber gerade auch für die Opfer der Kirche.“

Ann-Christin Ladermann