Historikerin Hedwig Richter blickte in die Geschichte der Demokratie

, Bistum Münster

Demokratie ist auf Vertrauen angewiesen. Krisendiskurse und Untergangsgesänge dürften nicht zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung werden. „Wenn sie maßlos werden, befeuern sie das grassierende Misstrauen und Verschwörungstheorien“, sagte Hedwig Richter am Mittwoch, 25. August, in ihrem Vortrag im Rahmen der diesjährigen DomGedanken in Münster. „Vielleicht sollten wir immer mal wieder zur Gelassenheit mahnen und darauf verweisen, was die Menschen mit der liberalen Demokratie erreicht haben und was für ein Glück es gerade für die Deutschen ist, in einer freiheitlichen Demokratie leben zu dürfen“, betonte die Professorin für neuere und neuste Geschichte an der Universität der Bundeswehr in München. In ihrem Beitrag „Demokratie – eine Fiktion? Warum sich eine Auseinandersetzung mit ihrer Geschichte lohnt“ warf Richter einen Blick in die Historie, denn die liberale Demokratie, in der es im Wesentlichen um die Menschenwürde gehe, um Gleichheit gepaart mit Freiheit, sei voller Widersprüche. 

Die Geschichte der Demokratie sei eine Geschichte der Inklusionen. Während in der frühen Neuzeit die Politik an Höfen und in den Städten stattgefunden habe und die verarmte ländliche Bevölkerung außen vor geblieben sei, wurden im Lauf der Geschichte immer mehr Menschen in die Gesellschaft einbezogen und politisch als Gleiche behandelt. Diese „Inklusionsrevolutionen“ hätten sich in der Moderne vollzogen. Es bedurfte aber mehr als nur einer politischen Inklusion wie das Wahlrecht. „Demokratie war immer auf die Mitwirkung von Eliten angewiesen wie beispielsweise Bildungseliten, Besitzeliten und zunehmend auch technokratische Eliten. Wenn sie gegen die Demokratie ankämpften – wie es in Weimar in großen Teilen der Fall war – wird es schwer für die Demokratie“, hielt Richter fest.

Natürlich sei die Demokratie dennoch grundlegend auf Mehrheiten angewiesen und gründe auf der Bevölkerung. Sie sei häufig von den unteren Schichten erkämpft und eingefordert worden. „Demokratie ist wie keine andere Staatsform, diejenige, die inkludiert – politisch, aber eben auch sozial“, sagte die Historikerin. Deshalb sei die soziale Gerechtigkeit und der Wohlstand von Bedeutung. Das Lebensniveau der Menschen musste einem Mindeststandard entsprechen. Richter sieht in der Geschichte einige Hinweise darauf, dass die entscheidende Frage dabei nicht die nach der sozialen Ungleichheit sei, sondern vielmehr die nach dem Wohlstandsgrad der unteren Schichten. „In jedem Fall bedarf es eines potenten Sozialstaates, um möglichst alle in der Bevölkerung zu inkludieren“, erklärte die Referentin.

Ein dritter Aspekt für die Entwicklung von Demokratie war die Nation. Sie bot ein neues Selbstverständnis, verlieh der abstrakten Idee der Gleichheit Gestalt und Gefühl. Anhand von politischen Wahlen ließe sich gut beobachten, wie sich das Konzept der Nation entwickelt habe. „Wahlen sind bis heute ein extrem starker Ausdruck der politischen Egalität und der Volksherrschaft. Sie plausibilisieren die Idee von Gleichheit und von Selbstregierung“, erklärte Richter. Nach wie vor sei die Nation ein wichtiger Motor für Solidarität und ein minimales „Wir-Bewusstsein“, das sich für Demokratien als unabdingbar erweise. „Die liberale Demokratie, die sich aus dieser Geschichte herausgebildet hat, erscheint mir als die beste Form, die wir haben, um die Würde für alle zu ermöglichen. Aktuell gibt es, das scheint mir doch unumstritten, keine andere Regierungs- und Lebensform, die das auch nur annähernd in diesem Ausmaß ermöglichen könnte“, ist Richter überzeugt.

Dompfarrer Hans-Bernd Köppen hatte im Namen des Domkapitels als Veranstalter die Teilnehmenden begrüßt. Benjamin Pfordt begleitete den Abend musikalisch an der Orgel.

Am 1. September referiert der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck über „Demokratie in Frage? Anmerkungen zur Diagnose und Therapie“. Zum Finale spricht am 8. September der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn über „Demokratie – das Fundament Europas. Anmerkungen zur Kraft freiheitlicher Staatsformen“. Beide Veranstaltungen sind bereits ausgebucht. Aber das Bistum Münster überträgt die „DomGedanken“ live im Internet unter www.bistum-muenster.de, www.paulusdom.de sowie auf der Facebook-Seite und auf dem Youtube-Kanal des Bistums Münster.

Michaela Kiepe

Bildunterschrift:
Prof. Hedwig Richter vermittelte einen historischen Blick auf die Demokratie. Foto: Jürgen Flatken