Karin Goddemeier wird palliativ begleitet

, Stadtdekanat Münster

Warm fallen die Strahlen der Frühlingssonne durch das Fenster auf das Bett, in dem Karin Goddemeier liegt. „Im Sommer habe ich das Fenster oft weit offen. Die Luft, die Wärme – das ist herrlich“, sagt die 78-Jährige mit einem Lächeln. Ihr rosafarbener Pyjama passt zur Bettwäsche mit Rosenmotiv. Eine Umgebung zum Wohlfühlen. Für Karin Goddemeier ist das wichtig. Außerhalb der Mahlzeiten steht die Münsteranerin nur noch selten aus ihrem Bett auf. Zu anstrengend, zu schmerzhaft. Die Kräfte schwinden. Karin Goddemeier ist krank. So krank, dass sie sterben wird. Nur wann, das weiß niemand.

Auch wenn Karin Goddemeier weiß, dass ihre letzte Lebensphase angebrochen ist, genießt sie die Zeit, die ihr noch bleibt.

© Bistum Münster

Dass sie trotz ihres Zustandes zu Hause leben kann, verdankt sie neben ihrer Schwester, die sie versorgt, auch der ambulanten palliativen Begleitung. Jede Woche kommt Fabian Eichler vom palliativ-Mobil des St.-Franziskus-Hospitals vorbei, unterstützt bei Formalitäten wie dem Beantragen von Pflegehilfsmitteln und hält regelmäßig Rücksprache mit Karin Goddemeiers Hausärztin. Aktuell steht das Thema Impfen gegen Covid-19 ganz oben auf der Liste. „Ich selbst wüsste gar nicht, wo ich mich melden kann“, sagt die Seniorin, „es ist ein gutes Gefühl, dass er sich um alles kümmert.“ Dankbar ist sie auch für den wöchentlichen Besuch von Bea Beule. Die Ehrenamtliche vom ambulanten Hospizdienst am Johannes-Hospiz nimmt sich jeden Mittwoch Zeit für die 78-Jährige. Ein bis zwei Stunden sitzt sie dann an ihrem Bett, hört zu, erzählt und entlastet so die Schwester, die in dieser Zeit die Rückenschule besuchen kann.

Die Sorge um Schwerkranke und sterbende Menschen nimmt die „Woche für das Leben“ in diesem Jahr in den Blick. Vom 17. bis 24. April weist die gemeinsame Initiative der katholischen und evangelischen Kirche in Deutschland auf die Bedeutung der Hospiz- und Palliativversorgung hin. Den Kirchen ist es wichtig, gerade wenn keine Aussicht auf medizinische Heilung mehr besteht, die Patientinnen und Patienten nicht aufzugeben, sondern sie mit ihren Bedürfnissen ernst zu nehmen. Gemeinsam mit den verschiedenen Akteuren der Hospiz- und Palliativversorgung möchten sie die Verantwortung für Schwerkranke und Sterbende tragen und dabei deutlich machen, dass der Mensch in jeder Phase seines Lebens von Gott angenommen ist.

Dass Karin Goddemeiers Zustand sich stabil hält – für die Ärzte ist das ein kleines Wunder. Vor fünf Jahren wurde ihr die Nebenniere entfernt, ein Tumor war diagnostiziert worden. Eine zweite Operation folgte, seitdem wächst eine große Geschwulst an der Stelle, von außen deutlich sichtbar. Der Fall der Krebspatientin aus Münster ist ein kleines Rätsel: Obwohl sich die Ärzte mit Fachleuten beraten haben, ist die Krebsform nicht bekannt. Die Chemotherapie schlug nicht an, schwächte Karin Goddemeier schon nach sechs Einheiten. Der Therapieabbruch war unabwendbar. „Wir können nichts mehr für Sie tun.“ Dieser Satz der Ärztin ist ihr noch allzu präsent. „Ich bin kein Typ, der sich hängen lässt. Aber ich hatte durch die Nebenwirkungen überhaupt keine Kraft, um zu kämpfen“, blickt sie zurück.

Den Rat der Ärzte, die Zeit zu genießen, die ihr bleibt, beherzigt Karin Goddemeier – auch, wenn sie die meiste Zeit das Bett nicht verlassen kann. „Man erfreut sich an kleinen Dingen.“ Dazu gehören die Besuche der Söhne und Enkel, aber auch die halbe Flasche alkoholfreies Weizenbier, die sie seit kurzem am Abend gerne trinkt. „Das schmeckt mir richtig gut.“ Alle acht Stunden nimmt die 78-Jährige eine Dosis Morphium, ohne das Medikament wären die Schmerzen nicht auszuhalten. „Ich habe einmal eine Tablette weggelassen und mir geschworen, das nie wieder zu tun“, erinnert sie sich. Dreimal am Tag kommt ihre Schwester vorbei. Die 80-Jährige bringt morgens frische Brötchen mit, kocht das Mittagessen und isst mit ihr zu Abend. Keine Selbstverständlichkeit in dem Alter, weiß Karin Goddemeier: „Sollte es irgendwann nicht mehr gehen, müssen wir uns um einen Pflegedienst kümmern.“

Zweimal hat sie sich in den vergangenen Jahren auf der Palliativstation des St.-Franziskus-Hospitals „aufpäppeln“ und mit Medikamenten neu einstellen lassen. „Vor meiner Erkrankung dachte ich, dort kommt man hin, um zu sterben“, sagt Karin Goddemeier. Dass palliativ bedeutet, dass nicht mehr die Ursache einer Erkrankung behandelt wird, sondern die Beschwerden, die die Krankheit hervorruft, hat sie erst bei ihrem Aufenthalt erfahren. „Es geht um eine bestmögliche Lebensqualität bis zum Ende“, erklärt sie dankbar.

Karin Goddemeier ist vorbereitet für den Tag X. Angst vor dem Tod hat sie nicht. „Wenn es stimmt, dann sehe ich ja alle wieder, die mir lieb und teuer waren“, sagt die gläubige Katholikin. Auch ihren Mann, der 2005 verstorben ist. Große Ziele hat sie nicht mehr. „Vielleicht schaffe ich es diesen Sommer ja noch einmal, mit dem Rollator draußen ein paar Schritte zu gehen.“ Vor zwei Jahren war das zuletzt möglich. Karin Goddemeier wird nicht enttäuscht sein, wenn es nicht klappt: „Man hat sein Leben gelebt. Jetzt sind andere dran.“

Hintergrund „Woche für das Leben“

Die „Woche für das Leben“ ist eine gemeinsame Initiative der katholischen und der evangelischen Kirche in Deutschland. Die Kirchen wollen damit für den Wert und die Würde menschlichen Lebens sensibilisieren. Die Aktion wurde 1991 von der Deutschen Bischofskonferenz und vom Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) begründet. 1994 schloss sich die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) an. An der Aktion beteiligen sich bundesweit Hunderte Gemeinden, Einrichtungen und Verbände. Jedes Jahr behandelt die Aktion ein anderes Thema wie etwa den Schutz des ungeborenen Lebens, das Leben im Alter und menschenwürdige Pflege. 

Ann-Christin Ladermann