„Man kann es nicht einfach so stehen lassen“

, Bistum Münster

Maria thront auf einem Sessel, mit einem Arm umfasst sie schützend das Jesuskind. Ihre Füße aber scheinen zuzutreten, auf zwei vor ihr kauernde Männer, einen Juden und einen Heiden. Schmerzhaft verzieht der Jude sein Gesicht, die Glieder sind unnatürlich verrenkt. „Eine besonders brutale Darstellung“, fasst Domkustos Dr. Udo Grote den Ausschnitt des Marienreliefs im Paradiesportal des St.-Paulus-Doms in Münster zusammen. Sie führe vor Augen, wie sich religiöse Gefühle und Vorbehalte im Laufe der Geschichte verändert hätten. Mit einer neuen Broschüre der Reihe „Kunstwerke des St.-Paulus-Domes zu Münster“ weist das Domkapitel ab sofort auf das Marienrelief hin und macht deutlich, dass sich die Kirche heute von dieser antijüdischen Sichtweise distanziert.

Die antijüdische Darstellung im St.-Paulus-Dom.

Im Paradiesportal des Domes befindet sich über den Türstürzen diese antijüdische Darstellung.

© Stephan Kube

„Mit Blick auf die Geschichte ist es unsere Verpflichtung und Verantwortung, eine solche Darstellung zu thematisieren“, erklärte Dompropst Kurt Schulte bei einem Pressegespräch am 5. April in Münster. Das Relief könne so gedeutet werden, dass es erlaubt sei, das Judentum oder auch jeden Nichtglaubenden zu missachten oder zu unterdrücken. „Diese theologische Auffassung ist nicht richtig und widerspricht fundamental unserer Grundüberzeugung“, betonte Schulte. Künstler seien Menschen ihrer Zeit, verhaftet im Denken und in der Theologie ihrer Zeit. Heute aber sei es notwendig – um jedem Missverständnis vorzubeugen – auf das richtige Verständnis hinzuweisen. Das werde künftig nicht nur mit der Broschüre geschehen. Auch bei Domführungen, in anderen Publikationen und im Internet werde man die Darstellung zum Thema machen. 

„Höchste Zeit, sich von der Darstellung zu distanzieren“, wird es auch aus Sicht von Sharon Fehr, Vorsitzender der jüdischen Gemeinde in Münster. Er freue sich über das „mutige und konsequente Vorgehen“ des Domkapitels. „Wir schätzen den über Jahrzehnte gewachsenen christlich-jüdischen Dialog in Münster sehr“, betonte er. Wenn sich einerseits um einen fairen und ernsten Austausch bemüht werde, müsse andererseits auch gerade antisemitische Darstellungen im kirchlich-öffentlichen Raum ausdrücklich widersprochen werden. „Darüber zu sprechen hat auch etwas mit Glaubwürdigkeit zu tun“, lobte er. 

Den Anstoß hatte neben Bischof Dr. Felix Genn unter anderem Domkapitular Dr. Ferdinand Schumacher gegeben. Der Vorsitzende der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in Münster hatte sich im St.-Paulus-Dom auf die Suche nach Hinweisen auf das Judentum begeben. Kaum ein Besucher ohne das Wissen um das Marienrelief über den Türstürzen, nehme dieses wahr. Aus eigener Erfahrung erklärte er: „Wenn man es aber dann entdeckt hat, wird es unerträglich und man kann es nicht einfach so stehenlassen.“

Ann-Christin Ladermann