Militärbischof Overbeck bei DomGedanken: Stärke des Rechts statt Recht des Stärkeren

, Bistum Münster

Über die Komplexität von Krieg und die Möglichkeit von Frieden vor dem Hintergrund der katholischen Friedensethik hat am Mittwochabend (30. August) der Katholische Militärbischof für die Deutsche Bundeswehr, Dr. Franz Josef Overbeck, im St.-Paulus-Dom zu Münster gesprochen. Overbeck, der zugleich Bischof von Essen ist, trat im Rahmen der Veranstaltungsreihe DomGedanken auf, die in diesem Jahr unter dem Leitwort „Krieg! Und Frieden?“ steht.

Anders als bei anderen aktuellen Konflikten, beispielsweise in Afghanistan, Syrien oder Mali, habe in der Ukraine ein Land einen anderen souveränen Staat überfallen und mit Krieg überzogen, führte Overbeck aus. „Wir sind in einem Systemkrieg angekommen, einer neuen politischen, aber auch gesellschaftlich relevanten Realität, die geprägt ist von dem teuflischen Versuch, die Stärke des Rechts durch das Recht des Stärkeren zu ersetzen.“

Je länger dieser schreckliche Krieg dauere, desto deutlicher werde, dass es sich um einen Machtkonflikt zwischen einer autoritären und einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaftsordnung handele. Angesichts der völkerrechtswidrigen Vergehen der russischen Armee trete die Tatsache ins öffentliche Bewusstsein, dass fundamentale Werte wie Sicherheit, Selbstbestimmung, Freiheit und Gleichheit eben keine Selbstverständlichkeiten seien, sondern in einer wehrhaften Demokratie auch verteidigt werden müssten.

Overbeck appellierte, dafür einzutreten, dass nicht die Gleichgültigkeit gegenüber dem Leid anderer siege, „sondern, dass wir Ja sagen zu einer Menschlichkeit, die dem Recht des Stärkeren widersteht.“ Bei dem, was wir jetzt in der Ukraine erlebten, gehe es um einen grundsätzlichen Konflikt, um die Art und Weise wie wir lebten, wer wir seien, und was es für uns hieße, für die Werte einzustehen, die uns Freheit und Gleichheit, Gerechtigkeit und Rechtsstaatlichkeit ermöglichten.

Der Bischof prägte in seinem Vortrag den Begriff der „widerständigen Menschlichkeit“. Menschlichkeit, so erläuterte er, bedeute Mitgefühl, Achtsamkeit und Nächstenliebe. Sie verbinde sich mit Widerständigkeit, wenn unsägliches Leid geschehe und die Menschenwürde mit Füßen getreten werde. „Dann zeigt sich eine Wahrheit, die sich fast körperlich spüren lässt: Dieses Leid darf nicht sein! Es ist unter keinen Umständen zu rechtfertigen. Es braucht Widerstand, um gegen jene Kräfte und Mächte anzugehen, die dieses Leid verursachen.“ Uns müsse bewusst sein, dass in der Ukraine nicht nur für die eigene Freiheit, Gleichheit und Würde gekämpft werde, sondern auch für die Werteordnung der Menschenrechte und der Demokratie und damit für unser aller Freiheit.  

Overbeck kritisierte, dass auch von manchen katholischen Stimmen ein Unbehagen gegenüber diesem Freiheitsverständnis geäußert werde. Viele der Zerrbilder vom „westlichen Werteverfall“, die Patriarch Kyrill, das Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche, nutze, um den Angriffskrieg seines Landes auf die Ukraine zu rechtfertigen, würden von manchen auch in unserer Kirche gepflegt. „Als Christinnen und Christen, die wir für eine freiheitsbasierte Werteordnung eintreten, müssen wir solchen Versuchen in einer Ökumene des Friedens widersprechen“, sagte er.

Innerhalb einer vernetzten und globalisierten Welt brauche es die Gewissheit, dass Streitigkeiten friedlich gelöst werden könnten. „Es ist und bleibt fatal, wenn Frieden nicht durch Recht, sondern allein durch Stärke entstehen soll.“ Die zivilisatorische Errungenschaft, politische und andere Streitigkeiten friedlich und entlang einer regelbasierten Ordnung zu lösen, seien Ausdruck einer Nächstenliebe, die über das individuelle Wirken einzelner Personen weit hinausgehe.

Es gelte, weiterhin an der Seite der Menschen in der Ukraine zu stehen, die für Freiheit und die Stärke des Rechts kämpften: „Wenn wir das Recht des Stärkeren akzeptieren, stellen wir mit unseren moralischen Prinzipien unser gesamtes Verständnis von Freiheit, Gerechtigkeit und einem guten Leben in Frage.“

Ukraine hat ein Recht auf "sittlich erlaubte Verteidigung"

Der Krieg in der Ukraine führe die Spannung zwischen gewaltfreiem Handeln und der Möglichkeit legitimer Gewaltanwendung vor Augen. Overbeck betonte, die katholische Friedensethik kenne das „Recht auf Selbstverteidigung“, das allerdings an hohe Hürden geknüpft sei: Vorher müsse alles getan werden, um ohne Gewalt zum Frieden zu kommen. „Die Menschen in der Ukraine wollen keinen Krieg und sie wollten auch keinen Krieg“, machte der Militärbischof deutlich. Sie sehnten sich stattdessen nach dem Frieden, der ihnen genommen worden sei. In dieser Situation könne man der Ukraine ein Recht auf „sittlich erlaubte Verteidigung“ nicht absprechen. Die Anwendung von militärischer Gewalt müsse daher von der rechten Intention her bedacht werden, so Overbeck: „Ein gerecht handelnder Soldat muss durch sein Kämpfen Frieden stiften wollen. Die Intention muss der Friede sein, nie der Krieg.“

Auch auf die Frage von Waffenlieferungen an die Ukraine ging Overbeck ein. Waffen sorgten immer für Leid, sagte er. Rüstungslieferungen aber, die dazu dienten, dass das angegriffene Land sein völkerrechtlich verbrieftes und auch von der kirchlichen Friedensethik bejahtes Recht auf Selbstverteidigung wahrnehmen könne, seien legitim, wenn sie dem Ziel dienten, einen wirklichen Frieden zu schaffen.

Schließlich ging der Bischof darauf ein, dass im derzeitigen Konflikt zwischen Russland und der Ukraine, einer autoritären und einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaftsordnung, auch die Religion eine bedeutsame Rolle spiele. Es sei wichtig, sich gegen alle Versuche zu positionieren, autoritäre Regime und Staatensysteme einzurichten, und sich stattdessen für eine Gestalt des Christentums einzusetzen, die eine Quelle moralischer Inspiration für eine Kultur des Friedens der Freiheit und der Demokratie sei. Dabei müsse die Tatsache respektiert werden, „dass unsere Welt weder religiös noch kulturell einfarbig ist, sondern radikal plural.“

Zum Abschluss der diesjährigen DomGedanken spricht am 6. September die Friedensnobelpreisträgerin 2022 Prof. Dr. Irina Scherbakowa zur Frage „Ist Frieden mit Putin möglich?“ Die russische Germanistin und Kulturwissenschaftlerin erhielt den Nobelpreis als Gründungsmitglied der russischen Menschenrechtsorganisation Memorial.

Die Abende werden jeweils von thematisch passender Musik eingerahmt. Die musikalische Gestaltung am 30. August übernahmen die Dombläser Münster unter der Leitung von Norbert Fabritius.

Der Eintritt zu den DomGedanken ist frei. Die Veranstalter bitten um eine Spende für die Nothilfe Ukraine. Das Geld kommt direkt Projekten und Partnern zugute, für die sich die Ukrainische Gemeinde und der Ukrainische Verein Münster einsetzen.

Thomas Mollen