„Nie wieder ist jetzt“

, Stadtdekanat Münster

„Nie wieder ist jetzt.“ Ein Satz, der nach dem Angriff der Terrororganisation Hamas auf Israel oft zu hören war, stand auch bei der Gedenkstunde am 9. November in der münsterischen Synagoge im Mittelpunkt. Auf Einladung der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit erinnerten Vertreterinnen und Vertreter aus Münsters Politik, Gesellschaft und Kirche an die Reichspogromnacht vor 85 Jahren und riefen mit Blick auf die aktuelle Situation zur Solidarität mit den Jüdinnen und Juden in Münster und auf der ganzen Welt auf.

„Wir dürfen nicht schweigen, wir müssen unsere Stimme erheben, um unsere Erinnerung und unsere Wut, unser Entsetzen und unsere Scham, unser Mitgefühl und unsere Solidarität auszudrücken“, appellierte Pfarrer Martin Mustroph, geschäftsführender Vorsitzender der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit. Was in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 geschehen sei, bleibe unfassbar. „Nie wieder. Wie oft haben wir diesen Satz beschworen und insgeheim gedacht, dass die Verbrechen der Nationalsozialisten etwas Unwiederholbares sind“, sagte der evangelische Pfarrer im vollbesetzten Gebetssaal des jüdischen Gotteshauses. Das „Massaker vom 7. Oktober 2023“ habe jedoch das Gegenteil gezeigt: „Das war purer Judenhass.“ 

In der Synagoge in Münster betonte Pfarrer Martin Mustroph: „Wir dürfen nicht schweigen, wir müssen unsere Stimme erheben, um unsere Erinnerung und unsere Wut, unser Entsetzen und unsere Scham, unser Mitgefühl und unsere Solidarität auszudrücken.“

© Bistum Münster

Mit klaren und entschiedenen Worten sei den lauten und den vorlauten Reden derer zu widersprechen, „die versuchen, den Überfall als Freiheitskampf der Unterdrückten, als Aktion des Antikolonialismus oder als Ausbruch eines Volkszorns zu rechtfertigen“, betonte Mustroph. Beschämend sei, dass gerade jetzt diejenigen schweigen würden, die sich sonst laut zu Gehör brächten. „Wenn wir schweigen, dann schreien andere. Und sie schreien umso lauter“, sagte er und forderte: „Wer Terror gutheißt, Massenmord bejubelt, Geiselnahme für ein probates politisches Instrument hält, Israel das Existenzrecht abspricht und Judenhass verbreitet, der muss mit strafrechtlichen Konsequenzen rechnen – egal ob Deutscher oder Migrant.“ 

Einen persönlichen Einblick in ihre Gefühlswelt gab Dr. Karina von Hoensbroech, stellvertretende Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Münster. 1941 verlor sie innerhalb von zwei Tagen 38 Verwandte und jetzt sei ihre Familie in Israel wieder betroffen. „Es gibt kaum ein Mitglied jüdischer Gemeinden, das nicht Verwandte oder zumindest Bekannte hat, die selbst oder dessen Söhne oder Enkel eingezogen sind oder sogar an vorderster Front kämpfen und deren andere Familienmitglieder nicht einige Male am Tag und in der Nacht in den Luftschutzraum müssen.“ 

Einen persönlichen Einblick in ihre Gefühlswelt gab Dr. Karina von Hoensbroech, stellvertretende Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Münster.

© Bistum Münster

Von Hoensbroech sprach von einer Zäsur, die der Krieg in der Geschichte Israels und des Judentums sei. „Wieder wird es heißen ‚vor dem Krieg und nach dem Krieg‘“, sagte die stellvertretende Vorsitzende. Sie selbst gehört der zweiten Nachkriegsgeneration an, ihre Enkel der vierten. „Es war mir immer ein Trost zu wissen, dass meine Enkel die Judenvernichtung nur aus Büchern oder Filmen kennen werden und nicht als Zeitzeugen. Beginnt das Abzählen der Generationen jetzt von neuem?“ Von Hoensbroech zeigte sich bewegt von den unzähligen Solidaritätsbekundungen, die die jüdische Gemeinde in Münster in den vergangenen Wochen erhalten habe. „Das gibt uns Kraft und vermittelt Sicherheit“, betonte sie. Gleichzeitig brachte sie ihre Sorge über den erstarkenden Antisemitismus in Deutschland und auch in Münster zum Ausdruck. „Lasst euch nicht einschüchtern, wehret dem Antisemitismus“, appellierte sie an die Besucherinnen und Besucher der Gedenkstunde.

„Der 7. Oktober 2023 ist eine Zäsur in der Geschichte Israels und damit auch in unserer“, erklärte Regierungspräsident Andreas Bothe. Der Überfall durch die Hamas habe „auf unmenschlichste, grauenhafteste Weise ohne jede Ausrede deutlich gemacht, wie bedroht der Staat Israel und jüdisches Leben weltweit und damit auch bei ist“. Bothe: „Wir müssen das Wort von der Sicherheit Israels und jüdischen Lebens als deutsche Staatsräson einnehmen, damit es keine Leerformel bleibt. Wir müssen zu diesem Wort ‚Jetzt‘ stehen. Es gibt kein ‚Ja aber‘, denn ‚Nie wieder ist jetzt.‘“ 

Landgerichtspräsident Ulrich Schambert hielt im Rahmen der Gedenkstunde eine Ansprache zum Thema „Der Mensch als Abbild Gottes“. Dabei führte der Katholik, der ehrenamtlich in der Pfarrei St. Nikolaus in Wolbeck engagiert ist, Abbildungen auf Fenstern von Synagogen und Kirchen an, auf denen Aspekte des Menschen als Abbild Gottes zu entdecken sind. 

Als Zeichen gegen das Vergessen wurden sechs Kerzen entzündet, die an die mehr als sechs Millionen Menschen jüdischen Glaubens erinnern, die während der Herrschaft der Nationalsozialisten getötet wurden. 

Ann-Christin Ladermann