Regina Brorsen: Damit aus Trauer kein Trauma wird

, Bistum Münster

Themen gibt es viele, Meinungen noch mehr. Nicht immer werden sie sachlich vorgebracht und ausgetauscht. Und viel zu oft bestimmen Empörung, Negativität, Ich-Bezogenheit und gegenseitige Attacken die Diskussionen. „Die Montagsmeinung“, das Meinungsformat des Bistums Münster, soll hier ein anderes Zeichen setzen. Persönlichkeiten aus Gesellschaft und Kirche, die sich dem Bistum verbunden fühlen, setzen sich darin mit Themen auseinander, die für sie und andere relevant und aktuell sind. Die Autorinnen und Autoren lassen es aber nicht bei Klagen und Kritik. Sie haben vielmehr konstruktive Ideen und Lösungsansätze. Diese teilen sie mit uns an dieser Stelle alle 14 Tage montags.

Die heutige Montagsmeinung stammt von Regina Brorsen. Die gelernte Erzieherin und Heilpädagogin ist seit zehn Jahren Verbundleitung für die vier Kitas der Pfarrei St. Peter und Paul in Voerde. Sie wohnt in Duisburg-Rumeln, engagiert sich als ehrenamtliche Notfallseelsorgerin und hat eine Ausbildung zu Familientrauerbegleitung im LAVIA-Institut Gelsenkirchen bei Mechthild Schröter-Rupieper absolviert.

Regina Brorsen

© Privat

Ob im Freundeskreis, in der eigenen Familie, in der Kita oder in den Medien: Wenn eine Person verstirbt, hält sich hartnäckig die Formulierung „Sie (oder er) ist eingeschlafen“ – manchmal ergänzt durch „friedlich“ oder „für immer“. Eine Formulierung, die vermutlich dazu dienen soll, das Schrecklichste, was passieren kann, nämlich dass ein geliebter Mensch stirbt, sprachlich etwas abzumildern, quasi einen Filter darüber zu legen.

Dabei wäre es – und das vor allem mit Blick auf Kinder und Jugendliche, aber eben nicht nur – so hilfreich, wir würden auch sprachlich die Tatsache beim Namen nennen, so schwer uns das fällt und so traurig und schmerzlich es ist. „Er (oder sie) ist gestorben“, gerne ergänzt durch das Wort „friedlich“, wenn es denn so war.

Im LAVIA Haus in Gelsenkirchen, wo ich meine Ausbildung als Familientrauerbegleiterin absolviert habe, gibt es eine Postkarte: „Friedlich Eingeschlafene dürfen nicht beerdigt werden“ – ein provokanter Spruch, der diesen sprachlichen Umweg bewusst in den Blick rücken soll. 

Mit Blick besonders auf Kinder kann nämlich diese abmildernde Äußerung fatale Folgen haben: Kinder können so Ängste entwickeln, zum Beispiel vor dem Einschlafen. Zudem ist sie schlicht gelogen: Der geliebte Mensch, etwa die Oma, ist nicht eingeschlafen, sondern wacht nie wieder auf und kommt auch nicht wieder zurück. Ähnlich verhält es sich mit Formulierungen wie „…hat der liebe Gott zu sich genommen“ und ähnlichen Umschreibungen.

Eine klare und wahrheitsgemäße Sprache ist der erste wichtige Schritt zur Verarbeitung der eigenen Trauer um einen geliebten Menschen: das Begreifen. Trauer ist ein angeborenes natürliches Gefühl wie beispielsweise Freude oder Wut. Trauer ist eine normale Reaktion auf ein trauriges Ereignis, welches der Tod eines geliebten Menschen zweifelsohne ist. Und das Nicht-Unterdrücken kann helfen, dass aus „Trauer“ kein „Trauma“ wird.

Mit Blick auf Kinder versuchen wir – meist aus guter Absicht – Trauer, negative Gefühle und alles damit Verbundene von ihnen fernzuhalten. Tod und Trauer sind weitestgehend tabuisiert in unserer Gesellschaft. Dabei wäre es so hilfreich, Kinder würden schon früh einen normalen, angemessenen Umgang mit allen Gefühlen bei ihren Vorbildern, den sie begleitenden Erwachsenen, erleben.

Vielleicht kommen wir eines Tages dazu, dass zum standardmäßigen „Vorschulkinder-Programm“ einer Kita neben dem Besuch bei Feuerwehr, Polizei und Co. auch ein Besuch bei einem Bestattungsunternehmen oder auf einem Friedhof dazugehört!? Ich jedenfalls würde mir dies sehr wünschen. 

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