Die Organisatoren vom Referat „Freiwilligendienst im Ausland“ der Fachstelle Weltkirche im Bistum Münster haben sich eine Alternative einfallen lassen: Am 30. Juni luden sie die künftigen Freiwilligen aus Münster, Nottuln, Wettringen, Greven, Ahaus, Haltern am See, Neuenkirchen und Ascheberg zu einer „politischen und persönlichen Kreuzwegwanderung“ an. Was sperrig klingt, hatte einen idyllischen Rahmen: Vom Friedhof Lauheide zwischen Münster und Telgte aus wanderte die Gruppe 13 Kilometer zunächst über das Friedhofsgelände, dann durch Wald und über Wiesen entlang der Ems. An verschiedenen Stationen bekamen die Teilnehmenden, die gerade das Abitur in der Tasche haben, die Möglichkeit, sich mit sich selbst und ihrer Situation, aber auch mit aktuellen politischen Themen auseinanderzusetzen.
Als Gast wanderte Pfarrer Peter Kossen einige Kilometer mit und sprach zum Thema Ohnmacht und Ausbeutung in der Fleischindustrie. Der Pfarrer der Lengericher Pfarrei Seliger Niels Stensen prangert seit 2012 die Arbeits- und Lebensbedingungen vor allem der osteuropäischen Leiharbeiter in den Schlachtbetrieben an und bezeichnet diese als „moderne Sklaverei“. Durch den Corona-Ausbruch im Mai bei Westfleisch in Coesfeld und jetzt bei Tönnies in Rheda-Wiedenbrück bekommt das Thema auch international mediale Aufmerksamkeit.
„Diese Menschen stehen immer unter Druck und das erste Wort, das sie in Deutschland lernen, heißt ‚schneller‘“, weiß Kossen, der in den vergangenen Wochen viele Medienanfragen zu dem Thema erhalten hat. Die Leiharbeiter kämen zunächst freiwillig nach Deutschland, „weil ihnen viel versprochen wird“, berichtete er, „aber sie finden sich schnell in einer Situation wieder, aus der sie nicht mehr herauskommen“. Der Umgang mit den osteuropäischen Leiharbeitern habe auch etwas mit Rassismus zu tun. „Für die meisten von uns haben diese Menschen keinen Vornamen, sie werden nur als ‚der Pole‘ oder ‚der Rumäne‘ bezeichnet“, kritisierte er. Hinzu komme der Gedanke, dass Menschen, die aus einem armen Land stammen, automatisch mit weniger zufrieden sein müssen. „Aber diese Menschen haben das Recht darauf, als Menschen behandelt zu werden und nicht nur als Arbeitskräfte“, machte Kossen den Freiwilligen deutlich.
Um das Thema Zwangsarbeit ging es auch am russischen Gräberfeld auf dem Waldfriedhof. 160 Menschen liegen dort begraben, darunter männliche Kriegsgefangene, aber auch Männer, Frauen und Kinder, die während des Zweiten Weltkriegs als Zwangsarbeiter in und um Münster gearbeitet haben. „Diese Menschen werden in unserer Erinnerungskultur oftmals vergessen“, erklärte die ehemalige Freiwillige Greta Lüking und wies auf die namenlose, anonyme Art der Bestattung der Zwangsarbeiter hin. Mit einem Brief eines 19-jährigen Arbeiters an seine Mutter hob sie bewusst ein Einzelschicksal hervor: „Bewahrt euch die Fähigkeit, euch von persönlichen Schicksalen, auch von fremden Menschen, berühren zu lassen“, ermutigte sie die künftigen Freiwilligen.