Wenn das Leben plötzlich stillsteht, wenn Menschen mit dem Unfassbaren konfrontiert werden, dann sind sie da: die Frauen und Männer der Notfallseelsorge im Kreis Coesfeld. Seit inzwischen 25 Jahren begleiten sie Menschen in Ausnahmesituationen, hören zu, halten aus. Rund 30 Ehrenamtliche sind derzeit aktiv, stehen Tag und Nacht bereit, wenn sie gebraucht werden. Zwei von ihnen sind Agnes Kuse und Karsten Reitinger.
Agnes Kuse und Karsten Reitinger sind zwei Aktive der Notfallseelsorge im Kreis Coesfeld, die auf eine inzwischen 25-jährige Geschichte zurückblickt.
Agnes Kuse gehört seit 19 Jahren zum Team. Die pensionierte Schulleiterin aus Lüdinghausen hat in mehreren hundert Einsätzen Menschen beigestanden: mit Herz, Erfahrung und großer Ruhe. „Jeder Einsatz ist anders“, sagt sie. „Wir begegnen den Menschen dort, wo sie gerade stehen. In ihrer Trauer, ihrem Schock, ihrer Sprachlosigkeit.“ Es gehe darum, da zu sein und nicht zu bewerten, sondern beizustehen und zu begleiten.
Dabei war ihr erster Impuls ein klares Nein, als sie gefragt wurde, ob sie sich dieses Ehrenamt vorstellen könne. Doch ein Erlebnis änderte alles: 60 Schülerinnen und Schüler wurden im Schulbus Zeugen eines tödlichen Motorradunfalls. Auf Anforderung kam die Notfallseelsorge am nächsten Tag in die Schule. „Ihre Arbeit hat mich tief beeindruckt und berührt. Ich wusste: Ich lasse mich ausbilden.“
Wir begegnen den Menschen dort, wo sie gerade stehen. In ihrer Trauer, ihrem Schock, ihrer Sprachlosigkeit.
Agnes Kuse
Karsten Reitinger ist seit einem Jahr Teil des Teams. Er stieß über eine Zeitungsnotiz zur Notfallseelsorge. „Ich wusste wenig über die Arbeit, aber das, was ich erfahren habe, hat mich bewegt“, erzählt Reitinger, der in einer Führungsposition bei Evonik in Marl gearbeitet hat. Nach der theoretischen Ausbildung und ersten begleiteten Einsätzen ist er inzwischen allein unterwegs. „Ich habe großen Respekt vor dieser Aufgabe. Aber ich erlebe auch, wie viel Dankbarkeit uns entgegengebracht wird sowohl von Einsatzkräften als auch von den Betroffenen“, sagt der Olfener.
Die Einsätze sind vielfältig: häusliche Todesfälle, schwere Unfälle, Suizide, Gewalttaten, Brände oder Naturkatastrophen, aber auch Großlagen wie beispielsweise die Amokfahrt in Münster 2018. Mitglieder der Rettungskette fordern über die Leitstelle die Notfallseelsorgenden an, wenn Menschen Halt brauchen. „Wo wir hinkommen, herrscht oft Chaos. Unsere Aufgabe ist es, Ruhe und Struktur hineinzubringen“, gibt Kuse einen Einblick.
Sicherheit gibt den beiden Ehrenamtlichen, dass für sie immer ein Hintergrunddienst im Einsatz ansprechbar ist, bei Bedarf Kontakte herstellt und notwendige organisatorische Dinge erledigt. Besonders bei nächtlichen Einsätzen sei eine doppelte Besetzung wünschenswert. „Das abschließende gemeinsame Reflektieren hilft belastende Einsätze zu verarbeiten“, erklärt sie. Auch das unmittelbare Schreiben des Einsatzprotokolls sei für sie ein Weg. Reitinger hat seine eigene Strategie: „Ich ziehe eine bestimmte Hose nur für Einsätze an. Das hilft mir ebenso wie eine Runde joggen zu gehen.“
Das Ehrenamt fordert uns menschlich und intellektuell. Aber es schenkt auch viel zurück.
Karsten Reitinger
Zu ihrer Ausrüstung gehören neben dem Ausweis und der Einsatzkleidung auch ein Rucksack. Darin finden sich ganz unterschiedliche Utensilien wie Anschriften und Kontaktdaten unterschiedlicher Institutionen, Belastungs- und Informationsflyer, Kerzen, Süßigkeiten und ein Teddybär. „Er ist oft ein Türöffner, nicht nur bei Kindern“, erzählt Kuse. Immer mal wieder stoßen die Beiden auf Irritationen beim Begriff „Seelsorge“. „Ich erkläre dann, dass wir einfach da sind. Wir missionieren nicht, sondern begleiten.“ Voraussetzungen für dieses Ehrenamt sei es, zuhören zu können, Schweigen auszuhalten, Empathie zu zeigen, aber auch Teamfähigkeit sowie Lebenserfahrung ist gefragt. „Man muss die Situation erfassen, angemessen reagieren und agieren: ruhig, strukturiert, mit einem klaren Blick“, fasst sie zusammen.
Für eine Nachbetreuung geben die Notfallseelsorgenden den Betroffenen hilfreiche und weiterführende Informationen an die Hand. „Und worauf sie sich verlassen können, ist unsere Verschwiegenheit.“ Auch die professionelle Zusammenarbeit mit Polizei, Feuerwehr und Rettungsdiensten sei geprägt von Vertrauen. „Da gibt es kein Kompetenzgerangel. Jeder weiß vor Ort, was zu tun ist“, sagt Kuse und ergänzt: „Manchmal reicht nur ein Blick.“
Für beide ist die Notfallseelsorge mehr als ein Ehrenamt. „Sie fordert uns menschlich und intellektuell. Aber sie schenkt auch viel zurück“, sagt Reitinger. Und Kuse fügt hinzu: „Diese Arbeit erfüllt mich.“
Michaela Kiepe
Hintergrund
Die Notfallseelsorge im Kreis Coesfeld ist ein ökumenischer Dienst, der von der katholischen und evangelischen Kirche sowie über Spenden getragen wird. Die Haupt- und Ehrenamtlichen sind speziell geschult und leisten psychosoziale und seelsorgerliche Hilfe in akuten Krisensituationen.
Um ihre Arbeit bekannter zu machen, gibt es eine Wanderausstellung der Notfallseelsorge im Kreis Coesfeld, die bei verschiedenen Veranstaltungen zu sehen ist. Am 31. August ist die Notfallseelsorge beim „Tag der Sicherheit“ des Kreises Coesfeld von 10 bis 17 Uhr in der ehemaligen St. Barbara Kaserne in Dülmen vertreten.
Ebenso ist sie beim „Blaulichttag“ im Rahmen des Stadtfestes in Lüdinghausen am 20. September dabei. Auch am 21. September präsentiert sie sich beim „Blaulichttag“ in Coesfeld von 11 bis 17 Uhr und am Tag des Jubiläum, 28. September, im Alten Zollhaus in Senden.