Bekenntnis zum Wert jeden menschlichen Lebens 

, Bistum Münster

„Auch, wenn es heute fast aussichtslos erscheint: Das Volk der Ukraine hat den Anspruch auf einen gerechten Frieden!“ Das hat der Bischof von Münster, Dr. Felix Genn, am 3. Juli in Münster betont. Der Bischof feierte im St.-Paulus-Dom die Heilige Messe aus Anlass der Großen Prozession. Diese fand in diesem Jahr unter besonderer Mitwirkung der ukrainischen Gemeinde statt. Dabei waren die Gläubigen vor dem Gottesdienst von der Marktkirche St. Lamberti durch die Stadt über den Prinzipalmarkt zum Dom gezogen. Die Prozession stand unter dem Leitwort „Selig, die Frieden stiften, denn sie werden Kinder Gottes genannt werden“ aus dem Matthäusevangelium. Neben dem Ukrainekrieg ging der Bischof in seiner Predigt unter anderem auf die Bewahrung der Schöpfung, den Schutz menschlichen Lebens und den Umgang mit sexuellem Missbrauch ein.

Mit Blick auf den Krieg in der Ukraine sagte der Bischof, dass ein Friede, bei dem der Sieger die Bedingungen diktieren würde, in sich Keime des Unfriedens, neuer Gewalt, neuen Terrors und neuen Krieges bergen würde. „Das wäre kein wirklicher Friede“, machte Bischof Genn deutlich. Er zeigte sich dankbar für die „große Bewegung der Solidarität mit den Geflüchteten, mit der Bereitschaft, Einschränkungen mitzutragen“. Zugleich hoffe er, dass dieser Zusammenhalt auch dann noch andauern werde, wenn alle Menschen auch in Deutschland die Folgen des Krieges noch stärker spüren würden. Gerade die sozial Schwächeren würden das heute schon spüren. „Solidarität mit den Menschen aus der Ukraine darf nicht gegen eine Solidarität mit den Armen und Schwachen in unserer Gesellschaft ausgespielt werden“, unterstrich der Bischof. Er warb dafür, dass jeder Einzelne in seinem Umfeld bereit sein müsse, „zu verzichten und sich einzuschränken“. Ihm sei bewusst, dass das für ihn als Bischof vielleicht leichter gesagt sei als für viele andere, die sich ohnehin schon – auch ohne Corona und den Krieg – in einer schwierigen sozialen Situation befinden. „Aber wir müssen zusammenstehen. Als Christinnen und Christen werden wir dann besonders diese Menschen nicht aus dem Blick verlieren“, sagte der Bischof und ergänzte: „Ohne Verzicht werden wir weder den Herbst bestehen noch für die Bewahrung der Schöpfung etwas Nachhaltiges bewirken können.“ Grundsätzlich sei mehr Sensibilität für einen verantwortungsvollen Umgang mit der Schöpfung erforderlich. Es gelte, sich „bewusst und verantwortungsvoll der Frage zu stellen, wie wir den kommenden Generationen unsere Welt überlassen, überlassen wollen, überlassen müssen.“ „Wir allen gefährden die Lebensgrundlagen der künftigen Generationen“, mahnte der Bischof.

Er ging auch auf das Thema „Schutz des Lebens“ ein. Dabei nahm er Bezug auf die Diskussionen über den assistierten Suizid und die Streichung des Paragrafen 219a. Bischof Genn betonte: „Wir dürfen die Menschen am Anfang und am Ende des Lebens nicht schutzlos lassen, sie sind auf uns angewiesen, wir dürfen dieses Sterben nicht hinnehmen und müssen dagegen aufschreien. Das mag heute in unserem Land wenig populär sein, aber umso wichtiger ist es deutlich zu machen: Mit unserer Position stellen wir uns nicht gegen Frauen oder gegen Menschen am Ende ihres Lebens, sondern wir beziehen Position für etwas, das für uns als Christinnen und Christen nicht verhandelbar sein sollte: Wir sind für den Wert jedes menschlichen Lebens.“  

Der Bischof unterstrich, dass er sich sicher sei, „dass Frauen sich die Entscheidung für oder gegen eine Abtreibung nicht leicht machen“. Er warnte aber davor, dass die Streichung des Werbeverbots für Abtreibungen nur der Anfang einer Entwicklung sein könne. Niemals, so zitierte der Bischof einen Zeitungskommentar, dürfe die Beendigung von Leben „staatlich geförderte Routine sein“. Wichtig sei dagegen „eine Positionierung für den aus unserer Sicht unverhandelbaren Schutz des menschlichen Lebens.“ Bischof Genn: „Menschliches Leben gegen ein anderes menschliches Leben aufzuwiegen ist nie eine Lösung. Ich erlaube mir an dieser Stelle kein Urteil, weil sich Frauen auch heute noch immer in grausamen Zwangslagen befinden, oft von Männern im Stich gelassen. Häufig wird gerade Frauen noch immer Gewalt angetan. Ich kann, darf und werde sie nicht verurteilen. Deshalb möchte ich nicht nachlassen im Engagement für das Leben, für die Frauen und alle Beteiligten in diesen schwierigen Momenten und danke ganz besonders den vielen Frauen des Sozialdienstes Katholischer Frauen, die hier großartige Arbeit leisten für das Leben der Frauen und das der ungeborenen Kinder.“

Die Botschaft des Friedens, die den Jüngerinnen und Jüngern aufgetragen sei, sagte der Bischof weiter, habe aber auch die Kirche selbst, insbesondere in ihren Repräsentanten und Priestern, nicht beachtet. „Was wir beim sexuellen Missbrauch wahrnehmen müssen, ist tatsächlich auch ein Krieg gegen das Leben, gegen das Leben junger Menschen. Sexueller Missbrauch hat den Frieden zerstört, hat Leben zerstört.“ Bischof Genn betonte: „Das Ziel kann nicht sein, dass wir machtvoll und strahlend da stehen, so dass wir die Unheilsgeschichte, die für viele eine Leidensgeschichte ist, hinter uns lassen. Es ist aber eine Stunde, die uns aufrüttelt, uns unseres Auftrages zu besinnen, nur mit einer wehrlosen und gewaltlosen Liebe die Botschaft des Friedens weiterzugeben.“ Jede und jeder Einzelne sei in seinem persönlichen Umfeld gefordert, „der gewaltlosen und verzichtenden Liebe mehr Raum zu geben als der Aggressivität und dem Kreisen nur um die eigenen Interessen.“

Im Gottesdienst und bei der Prozession übernahmen die Chor- beziehungsweise Instrumentalensembles Lamberti Scholars und „blechgewand(t)“ die musikalische Gestaltung. Die musikalische Gesamtleitung lag bei Regionalkantorin Jutta Bitsch. Für die Orgelbegleitung sorgte Lamberti-Kantor Alexander Toepper. 

Der Brauch der Großen Prozession reicht zurück bis ins Jahr 1382 und lässt sich ebenfalls auf eine Pandemie zurückführen: Damals starben in Münster mehr als 8.000 Menschen an der Pest. Im Jahr darauf verwüstete ein Großbrand weite Stadtgebiete. Seitdem ziehen aufgrund eines damaligen Gelöbnisses jedes Jahr Gläubige mit dem Allerheiligsten zu einer überpfarrlichen Buß- und Bittprozession durch die Altstadt. Aufgrund dieses Ursprungs wird eine Nachbildung des historischen Pestkreuzes, dessen Original im Stephanschor des Doms hängt, der Prozession vorausgetragen.

Dr. Stephan Kronenburg/Foto: Archiv