Bistum Münster veröffentlicht Eigenteil des Gotteslobs für Sehgeschädigte
Sie ist ein zentrales Element der Gottesdienste, als Ausdruck des Glaubens, als Begleitung der Liturgie, als Gebet: die Musik. Was aber, wenn der Gläubige nicht mitsingen kann? Wenn er dazu gezwungen ist, den Liedern nur zuhören zu können? Oft bleibt Menschen mit Sehschädigungen nichts anderes übrig, als zu lauschen, vielleicht mitzusummen.
Mit dem Eigenteil des Gotteslobs in verschiedenen Varianten für die unterschiedlichen Formen von Blindheit und Sehbehinderung will das Bistum Münster jetzt einen weiteren Schritt machen, Ausgrenzung zu verhindern, berichtet die Bistumszeitung "Kirche+Leben".
Hören, fühlen, lesen – als Audio- Datei, in Punktschrift oder in Großbuchstaben. Während die Versionen für den Stammteil bereits seit einigen Jahren existieren, gab es für die Lieder aus dem Bistum Münster bislang nichts Vergleichbares. "Die Vielfalt der Angebote ist notwendig, weil sich die Möglichkeiten der Adressaten nicht vergleichen lassen", erklärt Martin Merkens aus dem Referat für Krankenseelsorge und Seelsorge für Menschen mit Behinderung im Bischöflichen Generalvikariat (BGV).
Wer seit der Kindheit erblindet ist, beherrscht meist die so genannte Braille-Schrift. Im Alter Erblindete sind dieser Punktschrift oft nicht mächtig. Sie bevorzugen Geschriebenes in großen Buchstaben oder die Variante des Vorlesens über Kopfhörer. "Dazwischen gibt es weitere, stark unterschiedliche Voraussetzungen", sagt Merkens. In den Kirchen aber fänden die Betroffenen nur in wenigen Ausnahmen das Gehör, das sie für ihre Situation benötigten. "Da klafft der Anspruch, für alle Menschen da zu sein, und die Wirklichkeit oft auseinander." Das gelte leider auch für die Möglichkeit mitzusingen.
Die Alternative sind "Strategien", wie Janieta Bartz sie nennt. "Eigene Ideen für Problemlösungen." Die Leiterin des Referats für Pastoraltheologische Grundsatzfragen im BGV ist sehgeschädigt. Sie bevorzugt die Variante, sich im Vorfeld die Liednummern der Gottesdienste im Pfarrbüro zu besorgen, sie mit dem mobilen Computer zu fotografieren und mit einem Textprogramm in große Buchstaben umzuwandeln. "Dann gehe ich entweder mit dem Tablet in die Kirche oder lerne die Lieder vorher auswendig."
Sie hat noch mehr "Strategien", um möglichst intensiv am Gottesdienst teilnehmen zu können. Der Weg zu einem hellen Ort in der Kirche, "am besten direkt unter einer Lampe", ist eine davon. Sie geht zudem immer sehr früh zur Kirche, um ihren Platz suchen zu können, bevor Nebengeräusche ihre Orientierung stören. Zumeist nimmt sie auch jemanden mit, der ihr die Liednummern ansagt. Trotz allem aber bleiben Probleme. "Meine Situation im Gottesdienst ist trotz aller Hilfsmittel für andere oft unverständlich." Wenn sie sich das Tablet nah vor die Augen hält und darauf tippt, wissen einige nichts damit anzufangen. "Sie glauben dann, dass ich herumspiele." Von anderen Blinden weiß sie, dass diese schief angeschaut würden, wenn sie mit Abspielgerät und Kopfhörer in der Bank ständen. Singe man gar nicht mit, werde das wiederum als Desinteresse gewertet.
"Es muss sich ein grundsätzliches Gefühl für unsere Situation entwickeln", sagt die 29-Jährige. "Nur dann kommen wir aus der Rolle der Sonderlinge heraus." Es gehe nicht um einen Extra-Bereich für Blinde. Schon gar nicht um Gottesdienste, die nur für sie gestaltet werden. "Wenn unsere Voraussetzungen aber im Gemeindealltag wahrgenommen werden, regelt sich vieles von allein." Das ist dringend notwendig, sagt sie. "Denn es geht um viel mehr als nur um den Gesang." Das Unwissen der anderen Gottesdienstbesucher über die Sehschädigungen führe oft zur Irritation; etwa beim Friedensgruß: "Wieso reicht sie mir nicht die Hand?" Von den neuen Angeboten des Gotteslobs für Sehgeschädigte verspricht sie sich deshalb vor allem ein generelles Aufmerken in den Pfarrgemeinden. "Wenn die Liednummern künftig angesagt würden, wäre schon viel erreicht." Vielleicht liegen in den Kirchen künftig neben dem normalen Gotteslob auch die vier Bände des Eigenteils in Punktschrift oder der Band in Großbuchstaben, hofft sie. "Denn diese Bücher sind viel zu groß und schwer, um sie in der Handtasche mitzubringen."
Der große Aufwand für die geringe Zahl der Sehgeschädigten, mit denen das Referat von Martin Merkens in Kontakt steht, hätte sich dann besonders gelohnt. Immerhin hat allein die Herstellung des Druckkopfs für die Braille-Fassung etwa 1000 Euro gekostet. "Die Auflagen sind verhältnismäßig gering", sagt er. "Jeweils 100 Exemplare gibt es." Die Hörfassung werde zum ersten Mal nicht von einer künstlichen Stimme gelesen, sondern von einem echten Sprecher. "Das macht das Verstehen leichter." Letztlich komme es bei allen Varianten aber nicht auf die Zahl der Bestellungen an. "Wenn wir inklusiv denken, dürfen wir nicht nur darauf schauen."
Der Eigenteil des Gotteslobs in Braille-Schrift ist für 27,80 Euro erhältlich, der Band in Großbuchstaben für zehn Euro. Die CD-Fassung gibt es kostenlos. Sowohl die Bände als auch die CD können über das Referat Seelsorge für Menschen mit Behinderung bezogen werden. Telefon: 0251/495 560; Mail: behindertenseelsorge[at]bistum-muenster.de
Bildunterschrift: Hildegard Weiß und Martin Merkens aus dem Referat Seelsorge für Menschen mit Behinderung mit den drei Versionen des Eigenteils.
Text/Foto: Michael Bönte / Bistum Münster /25.04.16
Kontakt: Pressestelle[at]bistum-muenster.de
