„Brücken zum unsichtbaren Drittel der Bevölkerung bauen“

, Stadtdekanat Münster

„Wir müssen die Brücken zur stillen Mitte, zum unsichtbaren Drittel der Bevölkerung, das zurzeit schwer erreichbar ist und Rechtspopulisten wählt, wieder aufbauen“: Diesen Appell hat am 29. September in der Akademie Franz Hitze Haus in Münster Prof. Dr. Andreas Voßkuhle vorgetragen. Der ehemaliger Präsident des Bundesverfassungsgerichts wandte sich damit an das Publikum der Veranstaltung „Zum Umgang mit der ,stillen Mitte‘ – Strategien zur (Wieder)-Gewinnung von Vertrauen in politische Institutionen und Akteure“. 

Für Zuhören statt Belehren und Machen statt Reden sprach sich Andreas Voßkuhle im Franz Hitze Haus Münster aus.

© Bischöfliche Pressestelle / Anke Lucht

Rund 300 Personen waren dazu in die Akademie gekommen, viele weitere verfolgten den Abend per Liveübertragung im Internet. Eingeladen hatte das Franz Hitze Haus in Zusammenarbeit mit dem Geschichtsort Villa ten Hompel aus Münster und dem Verein „Gegen Vergessen – für Demokratie e.V.“. Dessen Vorsitzender ist Voßkuhle seit 2020. 

Nach der Begrüßung und Einführung durch Akademiedirektor Dr. Johannes Sabel und Stefan Querl, Leiter der Villa ten Hompel, widmete sich Voßkuhle den Gründen für die Wahlerfolge der „Alternative für Deutschland“ (AfD). „Wir haben es mit einer Vertrauenskrise in das politische System zu tun“, stellte er fest, „Vertrauensverlust in Verbindung mit schwindendem Zukunftsoptimismus ist der Humus, auf dem rechtsextreme politische Vorstellungen gedeihen.“ 

Man könne durchaus etwas dagegen und für die Stärkung der Demokratie tun. „Dafür müssen wir aber aus unserem Schubladendenken raus und auf die Menschen zugehen“, betonte Voßkuhle. Denn es gebe – abgesehen von Menschen mit rechtsextremer Grundhaltung, die kaum erreichbar seien – verschiedene Motivationen, als „stille Mitte“ die AfD zu unterstützen. Der Referent rechnete dieser „stillen Mitte“ drei Sinus-Milieus zu: das prekäre, das nostalgisch-bürgerliche und adaptiv-pragmatische. „Wenn wir jeweiligen Motivationen dieser Milieus anerkennen, können wir differenzierte Lösungen finden“, sagte Voßkuhle. Dafür müsse man die Menschen nach ihren Beweggründen fragen und sie anhören. 

Helfen könne zum einen die Einsicht, dass Modernisierung nötig sei, aber bei vielen Menschen – erst rechts angesichts vielfacher Krisen – ein Bedürfnis nach Stabilität auslöse. „Die Ansprache von Menschen, die sich mit Modernität schwer tun, ist eine Schlüsselaufgabe“, sagte der Referent. Zum anderen müsse man bei der Enttäuschung ansetzen, die vor allem Menschen antreibe, die erstmals AfD wählen. Zum dritten sprach sich Voßkuhle dafür aus, den Menschen ein tieferes Verständnis von Demokratie zu vermitteln. Denn Demokratie sei mehr als Wahlen. 

Voßkuhle unterbreitete dem Publikum Vorschläge, um die „stille Mitte“ zu erreichen. So müsse die Handlungsfähigkeit des Staates gestärkt und das Potenzial des Landes abgerufen werden. „Vertrauen basiert darauf, dass Dinge funktionieren“, sagte er. Die Politik müsse Veränderungen vorleben, statt sich in alten parteipolitischen Strategien zu verlieren. Man dürfe keine Region als „AfD-blau“ abschreiben, sondern müsse um jede Stimme kämpfen und Methoden der politischen Bildung für alle entwickeln. „Das geht nur mit Begegnung, mit Zuhören statt Aufklären und Belehren, mit Machen statt Reden, und dafür müssen wir Räume schaffen“, plädierte Voßkuhle für Gemeinschaft. „Das sind kleine Vorschläge, die aber stark werden können, indem man sich mit ihnen den Menschen zuwendet“, schloss er seine Ausführungen. Danach bestand Gelegenheit zum Austausch, die Referent, Veranstalter und Publikum intensiv nutzten. 

Anke Lucht