Nicht wenige Seniorinnen und Senioren verbringen den größten Teil des Tages in ihrer Wohnung und haben nur selten Kontakt zu Angehörigen oder Nachbarn, kennt Angelina Veit die Lebensrealität vieler älterer Menschen. „Aber die meisten haben ein Telefon zu Hause, ganz unabhängig vom Alter“, sagt die Soziologin. Nachdem zu Beginn der Pandemie sämtliche Seniorenangebote des Caritasverbandes ausfallen mussten, entwickelte das Team ein Konzept für den „Besuch per Telefon“, begab sich auf die Suche nach Ehrenamtlichen und machte das Angebot mit Flyern in Bäckereien und Supermärkten sowie im Internet publik. „Wir hatten deutlich mehr Ehrenamtliche, die bereit waren, Anrufe zu tätigen, als Menschen, die sich auf das Angebot zurückgemeldet haben“, erinnert sich Angelina Veit. Das wundert die Caritas-Mitarbeiterin nicht: „Viele fühlen sich zwar zeitweise allein und einsam, aber niemand gibt das gerne zu.“
Während die Stadt damals Einkaufsdienste für ältere und vorerkrankte Menschen organisierte, sah Angelina Veit die Aufgabe des Caritasverbandes als katholische Einrichtung darin, etwas zu tun, damit es der Seele der Menschen gut geht. Zwar blieben die Massen der Rückmeldungen wie erwartet aus, doch die Soziologin ist nach wie vor von der Relevanz des Projektes überzeugt: „Jede Person, die wir erreichen, ist ein Gewinn.“
Vorfreude auf den nächsten Anruf
Sie denkt dabei an eine ältere Dame, die sich die ganze Woche auf den Anruf freut. Oder an zwei Frauen, die während der Telefonate feststellten, dass sie in einer ähnlichen Lebenssituation sind und heute befreundet sind. An den Sohn, der für seine Mutter einen Anrufenden suchte, und der regelmäßig berichtete, wie gut das Telefonat ihr tue. Und an eine Geflüchtete, die sich mit ihrem Kind meldete, weil der Deutschkurs coronabedingt ausfallen musste und sie auf der Suche nach jemandem war, der per Video Geschichten vorliest, damit sie und ihr Sohn die deutsche Sprache nicht verlernen. „Das war auch für uns eine ganz neue Dimension“, berichtet Angelina Veit, hatten sie und ihre Kollegin doch vor allem ältere Menschen als Zielgruppe im Kopf.
Bei Telefonaten stehen Gespräche über Gott und die Welt, Land und Leute, Garten und Rezepte im Mittelpunkt. „Es ist ausdrücklich kein Seelsorgetelefon oder eine Beratung“, sagt die Caritas-Mitarbeiterin. Ziel sei es, regelmäßige Telefonate zwischen zwei Menschen zu vermitteln – und den Kontakt aufrecht zu erhalten: „Wir freuen uns, wenn ein Telefonkontakt in einen echten Kontakt übergeht, beispielsweise in regelmäßige Spaziergänge oder Besuche, sofern es die Pandemie zulässt“, berichtet sie von mehreren Beispielen.
Einsamkeit nicht nur in Pandemie-Zeiten
Derzeit steigen die Inzidenzen wieder an, vor allem älteren Menschen wird empfohlen, die Kontakte zu reduzieren. „Wir treten jetzt wieder behutsam, aber gezielt an diese Menschen heran und bieten regelmäßige ‚Besuche per Telefon‘ an“, erklärt Angelina Veit. Und auch wenn sich im kommenden Jahr die Corona-Situation hoffentlich wieder entspannt: „Das Projekt ‚Erzählfreundschaften‘ soll sich dauerhaft etablieren, denn Einsamkeit entsteht nicht nur durch Pandemien.“
Ann-Christin Ladermann