„Der Kampf gegen sexuellen Missbrauch geht weiter“

, Bistum Münster, Stadtdekanat Münster

Ein Jahr ist es her, dass ein Team des Historischen Seminars der Universität Münster die Ergebnisse seiner Studie zum sexuellen Missbrauch im Bistum Münster veröffentlichte. Seinerzeit versprach Bischof Dr. Felix Genn, Konsequenzen aus den Untersuchungsergebnissen zu ziehen und darüber zu informieren. Am Jahrestag der Veröffentlichung der Studie hat er am 13. Juni bei einem Abendforum in der Akademie Franz Hitze Haus in Münster erläutert, welche Maßnahmen er inzwischen umgesetzt hat. Außerdem stellten nach einer Einführung von Dr. Stefan Orth und unter Moderation von Joachim Frank vor rund 100 Zuhörerinnen und Zuhörern Peter Tenbusch, ein Betroffener, sowie Studienleiter Prof. Dr. Thomas Großbölting ihre Sichtweisen vor.

Den Stand der Maßnahmen ein Jahr nach Veröffentlichung der Missbrauchsstudie für das Bistum Münster diskutierten (von links) Peter Tenbusch, Felix Genn, Stefan Orth, Akademiedirektor Antonius Kerkhoff, Lioba Werth, Thomas Großbölting und Joachim Frank.

© Bischöfliche Pressestelle / Anke Lucht

Eingangs betonte der Bischof: „Der Kampf gegen sexuellen Missbrauch ist keineswegs vorbei.“ Sein Ziel bleibe es, Maßnahmen zu ergreifen, die Missbrauch verhindern. „Betroffene müssen konkret erfahren, dass es keine hohle Phrase ist, wenn ich versichere: Betroffene haben neben dem Anspruch auf eine unabhängige Aufarbeitung vor allem einen Anspruch auf ein verändertes Verhalten kirchlicher Verantwortungsträger“, sagte der Bischof, „sie haben einen Anspruch auf das Eingeständnis von Fehlern, auf ehrliche Reue und wirkliche Umkehr, die sich in der Haltung und im Verhalten kirchlicher Verantwortungsträger zeigen muss.“ Täter sollten wissen, dass er sich ihnen gegenüber von einer Haltung der Nulltoleranz leiten lässt.

Als eine der zentralen Maßnahmen, die man im Bistum Münster seit der Vorstellung der Studie ergriffen hat, nannte Genn unter anderem die Schaffung einer Ordnung für eine diözesane Verwaltungsgerichtsbarkeit. Konkret gebe es einen Entwurf „einer möglichen Ordnung für eine Schiedskammer, deren Errichtung im kirchlichen Recht jedem Diözesanbischof ermöglicht wird.“ Diesen werde er mit dem Generalvikar und den Weihbischöfen besprechen. Ebenso sei eine Disziplinarkammer vorgesehen, die Disziplinarmaßnahmen gegen Kleriker im „Graubereich“ verhängen kann, in dem es um strafrechtlich irrelevantes, aber unangemessenes und übergriffiges Verhalten geht.

Des Weiteren habe eine Arbeitsgruppe Vorschläge erarbeitet, wie mit den Gräbern erwiesener Missbrauchstäter und Vertuscher umgegangen werden soll. Diese Vorschläge würden auf der Internetseite des Bistums veröffentlicht. Für den St.-Paulus-Dom Münster würden sie mit dem zuständigen Domkapitel diskutiert.

Als weitere Maßnahmen führte der Bischof anstehende Änderungen bei der Personalkonferenz des Bistums, ein Forschungsprojekt zum geistlichen Missbrauch und die Bereitstellung einer von einigen Betroffenen gewünschten geistlichen Begleitung an. Außerdem erläuterte er das mit Betroffenen abgestimmte Vorgehen bei der Veröffentlichung von Fällen und die Beteiligung an einer NRW-weiten Evaluation der Präventionsarbeit. Für die Gründung der Unabhängigen Aufarbeitungskommission (UAK) stelle das Bistum nach einem Beschluss des Kirchensteuerrats 1,75 Millionen Euro bereit. Genn berichtete außerdem von Begegnungen mit Betroffenen.

Für diese Gruppe äußerte sich stellvertretend Peter Tenbusch. Allerdings machte er zugleich deutlich, dass jeder und jede Betroffenen individuelle Erfahrungen und Perspektiven habe. Tenbusch erkannte an, dass die Studie die Sprachfähigkeit aller Beteiligten verbessert hat. Sie sei ein wichtiger Meilenstein der Aufarbeitung, sozusagen die Pflicht. Dieser müsse jetzt die Kür folgen. Vor allem verwies Tenbusch auf Schadensersatzforderungen Betroffener, für die die Kirche dringend eine bessere Lösung als die bisherigen Zahlungen zur Anerkennung des Leids anbieten müsse. Letztere entsprächen keinem rechtsstaatlichen Erfahrungen. „Es geht um Schadensersatz“, stelle Tenbusch klar.

Ebenso forderte er die Einrichtung einer staatlichen Aufarbeitungskommission, die rechtliche Vorgaben macht. Denn: „Die Kirche wird es allein nicht schaffen, sich anders zu organisieren, es braucht Druck von außen.“ Er vermisse zudem die „reale persönliche Übernahme von Verantwortung.“

Als Mit-Herausgeber der Studie bescheinigte Thomas Großbölting dem Bistum Münster, gerade im Vergleich zu den anderen deutschen Bistümern „beachtliche Fortschritte“ gemacht zu haben. Die bisher gegangenen Schritte seien „sehr notwendig und sehr richtig.“ Ausdrücklich auch als Christ sagte Großbölting: „Wir arbeiten daran, dass diese Kirche anders und frei wird, dass sie so Christusnachfolge wirklich ermöglicht. Allerdings haben wir gerade erst den Startblock dieses Rennens verlassen.“ Mit Blick auf die Rahmenbedingungen, die sexuellen Missbrauch zulassen, nannte er die von den Priestern selbst, aber auch von den Gemeinden unterstützte Macht der Kleriker.

Die Wirtschaftspsychologin Prof. Dr. Lioba Werth unterstrich, dass Macht korrumpiere und pervertiere, wenn ihr nichts entgegengesetzt werde. Um Machtmissbrauch zu verhindern, seien Teilung und Kontrolle von Macht notwendig. Ebenso müsse man Personen, die Macht ausüben, kontinuierlich begleiten, „damit sie gut mit der Macht umgehen können“. Sie warb zudem gerade auch in der Kirche für die Entwicklung einer Streitkultur im positiven Sinne, in die sich möglichst viele einbringen sollten statt wegzuschauen.

Bischof Genn bekräftigte in seinem Statement abschließend, dass er sich weiter „mit großer Ernsthaftigkeit dem Kampf gegen sexuellen Missbrauch“ stellen werde. „Ich kann die Vergangenheit nicht ungeschehen machen; ich kann aber dafür sorgen, dass sie weiter aufgearbeitet wird, und ich kann Maßnahmen ergreifen, um sexuellen Missbrauch im Raum der Kirche künftig zu vermeiden“, sagte er. Und er räumte ein: „Manche Veränderungen gehen mir wie Ihnen dabei sicher nicht schnell genug; anderes geht manchen nicht weit genug; wieder anderen geht es schon viel zu weit. Wir kommen aber voran. Dabei ist und bleibt es mir wichtig, mich meiner Verantwortung in diesem notwendigen Prozess nicht zu entziehen. Zugleich kann, werde und will ich diesen Weg nur gemeinsam mit Ihnen gehen.“