DFI Stockhofe-Fernandes
Ich stehe hier vor einer Maria aus Sandstein. Maria lactans – die stillende Madonna. Endes des 16 Jahrhunderts von einem unbekannten Künstler aus Baumberger Sandstein geschaffen.
Die überlebensgroße Figur ist als Himmelkönigin mit Krone dargestellt und stillt das Jesuskind.
Maria hält das Jesuskind, das sich mit Kopf und Schulter seiner Mutter zuwendet, auf ihrem linken Arm. Das Kind greift nach der Brust. Maria selber nimmt die Bewegung des Kindes auf und gibt dem Kind die Brust. Ihr Gesicht, ihr Kopf schaut mit erhobenem Haupt in die Ferne.
Warum schaut sie in die Ferne? Eine stillende Mutter schaut auf das Kind um die innige Beziehung zu betonen, um mit ihrem Blick zu fesseln und Kontakt aufzubauen, oder Liebe und Zuneigung auszudrücken.
Eine Antwort ist: genau das will sie verhindern. Sie schaut in die Ferne – wohl wissend, dass ihr dieses Kind alsbald genommen wird. Sie schaut entrückt! Eher unbeteiligt, abwesend.
Zudem ist Maria mit einem bodenlangen Gewand und einem Mantelumhang bekleidet, der mit breiten Borten versehen ist und von den Armen in üppigem Faltenwurf herabhängt. Königliche Robe dominiert das Bild – trotz des Stillvorgangs.
Die stillende Maria als Bildmotiv tauchte bereit in der alten ägyptischen Kultur auf, wo die Göttin Isis den Horusknaben stillt, was symbolhaft für die Fruchtbarkeit stand. In Ägypten galt Isis als die Göttin der Liebe, als Meeresgöttin, als Gottes- und Sonnenmutter. Völkerkundler und Kunsthistoriker halten es für möglich, dass der Marienkult teilweise Völkerkundler und Kunsthistoriker halten es für möglich, dass der Marienkult teilweise seinen Ursprung aus dem bis in christliche Zeiten verbreiteten Isis-Glauben hat. Somit dient die Isisi-Ikonographie als Vorbild für die späteren Darstellungen der Maria mit dem Jesuskind.
Im 14 und 15 Jhrdt. wurde dem Bildtypus der Maria lactans eine andere Bedeutung beigemessen: das Christuskind ist Gott, der über die Brust der Mutter mit der Menschheit in Verbindung tritt.
Felix coeli porte – glückliche Himmelspforte steht auf dem Sockel geschrieben. Wieso glückliche Himmelspforte? Himmelskönigin würde doch eher passen.
Der Standort der Madonna war bis zum zweiten Weltkrieg am spätgotischen Westportal - dem damaligen Haupteingang des Paulusdomes. Sie stand auf einem Mittelpfeiler im Westportal. Als Eingangstor, eingerahmt von den klugen und den törichten Jungfrauen. Die Trumeau-Figur ( mittlerer Steinpfeiler) fand nach dem zweiten Weltkrieg ihren neuen Platz am rechten Pfeiler im Hochaltar. Das Westportal wird heute durch die Fensterrose geschmückt.
Und dann noch das vorgestellte Bein, das Spielbein mit dem sie auf einer züngelnden Schlange steht. Maria als diejenige, die die Erbsünde besiegt.
Wir erinnern uns, dass Eva von einer Schlange verführt wurde und die Verführte "Eva" in den verbotenen Apfel gebissen hat.
Mit Maria und ihrer unbefleckten Empfängnis ist eine weibliche Figur benannt worden, die die Sünde besiegt hat und durch die unbefleckte Empfängnis Christi uns erlöst hat.
Marias als neue "Eva", als diejenige welche ihren Fuß auf den Kopf der Schlange setzt: ein Gestus der symbolisch als der Sieg über die Erbsünde gedeutet wird.
Was fasziniert mich an dieser Figur?
Erst bei intensiverem Hinsehen habe ich gesehen, dass dies eine stillende Madonna ist. An diesem prominenten Ort so viel Weiblichkeit!
Das zweite was mich an dieser so unbeteiligten Maria berührt, ist, dass Schwangerschaft und Mutterschaft auch im heutigen Leben eine schwierige, belastende Situation sein können und dann eine existenzielle Not darstellen. Die Not vieler Mütter, aus finanziellen, materiellen oder sozialen Gründen das Austragen des Kindes in Frage zu stellen, begegnet mir im Bischofsfond für Schwangere in finanziellen Nöten. Hier berichten Frauen in den Schwangerschaftsberatungsstellen des Bistums von ihren Nöten oder ihrer aktuell schwierigen Lebenslage. Die Beratungsstellen können mit dem Bischofsfond zum ‚Schutz des ungeborenen Lebens’ ein Hilfsangebot aufzeigen. Über eine Millionen Euro stellt der Bischof von Münster aus Kirchensteuermitteln jährlich bereit für Familien im Bistum Münster, um sie in ihren finanziellen Notlagen zu unterstützen.
Die Begegnungen als DomFrau sind ein Geschenk und Glaubenszeugnis zugleich. Durch die weibliche Brille Kunsthistorie zu betrachten und ins Wort zu bringen, erfüllt die steinernen und malerischen Zeugnisse im St. Paulus-Dom mit Leben für die Besucherinnen und Besucher. Begegnungen, Beziehungen und Bereicherungen haben mit uns DomFrauen den Dom – für mehrere Stunden – verwandelt.
Text: Marietheres Stockhofe-Fernandes
Kontakt: Frauen[at]bistum-muenster.de
