DomGedanken Lothar de Maizière würdigt Weg zur Wiedervereinigung

Der frühere DDR-Ministerpräsident Dr. Lothar de Maizière hat den Weg zur Wiedervereinigung Deutschlands gelobt.

"Das haben wir gut gemacht", sagte de Maizière am 2. September bei einem Gespräch mit dem Titel ,Erkämpfte Freiheit: 25 Jahre nach der Wiedervereinigung‘ im St. Paulus-Dom von Münster. Der Kairos (günstige Moment) der damaligen Situation, in der alles anders wurde, sei richtig genutzt worden, betonte de Maizière. Der Musiker, Politiker und Rechtsanwalt äußerte sich im Dialog mit dem Journalisten Prof. Michael Rutz im Rahmen der ,Domgedanken 2015‘.

De Maizière hob hervor, man könne sich aus heutiger Sicht die Lage von vor 25 Jahren kaum vorstellen: Angesichts eines am Boden liegenden Gesellschaftssystems hätten viele Angst vor der Zukunft gehabt und sich gefragt, ob die Einheit alle Wünsche erfüllen werde. Eine Phase der Ernüchterung und die zeitweise bedrückende Arbeitslosigkeit in den ostdeutschen Bundesländern hätten die Zweifel verstärkt. Betrachte man aber heute die Ausstattung der Universitäten und Krankenhäuser oder die Sanierung der historischen Innenstädte in Ostdeutschland, dürfe man mit dem Erreichten zufrieden sein. "Für die jungen Ostdeutschen, die heute Abitur machen, ist die DDR so weit weg wie der 30-jährige Krieg", fügte der Zeitzeuge hinzu.

De Maizière erinnerte an das spannungsreiche Verhältnis zwischen Kirche und Staat in der DDR. Ein überzeugter Christ sei immer Außenseiter geblieben und habe höchstens eine B- oder C-Karriere machen können. "Dem Anspruch des Staates auf den Menschen stand der Anspruch Gottes auf den Menschen entgegen", betonte de Maizière. Die Kirche habe als Schutzraum gedient, in dem vor allem junge Leute hätten frei diskutieren können. "Ich habe immer gesagt: Ich bin ein notorischer Hier-Bleiber", erklärte de Maizière. Das habe bedeutet, dass ihm vieles verwehrt geblieben sei. So habe er als Musiker die Stücke "dekadenter" Komponisten nicht spielen und bestimmte Bücher nicht lesen dürfen. "Da schrieb mir jemand vor, was ich lesen und nicht lesen sollte: eine unerträgliche Situation", erregte sich der frühere Politiker. Er genieße es, heute im Buchladen die Bücher kaufen zu können, die er lesen wolle.

De Maizière räumte ein, dass man sich damals einen völligen Zusammenbruch des kommunistischen Systems nicht habe vorstellen können, sondern höchstens Reformen innerhalb des Systems. Die Runden Tische hätten ihre Bedeutung gehabt, weil sie ein Chaos verhindert hätten, aber danach habe man zu festen Strukturen und freien Wahlen kommen müssen. Der Glaube vieler an ein Ende der Geschichte und der Traum von einer Welt ohne Krieg hätten sich nicht erfüllt. Zum Mauerfall sei es letztlich gekommen, weil viele Systemträger nicht mehr bereit gewesen seien, das System zu tragen. Als Anwalt, der zu DDR-Zeiten viele verteidigt habe, die mit dem Regime in Konflikt geraten seien, sei er meistens zweiter Sieger geblieben. Mit Gregor Gysi, mit dem er viele komplizierte Rechtsverfahren bestritten habe, habe er aber darin übereingestimmt, dass sich etwas ändern müsse. Gysi (de Maizière: "Er ist eine Rampensau, die die Bühne braucht") habe ihn letztlich auch davon überzeugt, den Parteivorsitz der Ost-CDU zu übernehmen. Der frühere DDR-Ministerpräsident kritisierte, dass die beiden Volksparteien CDU und SPD nach der Wiedervereinigung nicht bereit gewesen seien, ehemaligen SED-Mitgliedern eine politische Heimat zu geben. "Damit haben sie das Überleben der PDS ermöglicht", bemängelte de Maizière.

Dem Staat wies der frühere Politiker die Aufgabe zu, die Rechte des Einzelnen zu sichern und der Gesellschaft von der Vernunft akzeptierte Grenzen zu setzen. Er dürfe aber nicht – wie in der DDR – zur Sittenschule und Erziehungsdiktatur werden. Bis heute seien die Gemeinschaft der Kirche und das große "Wir-Gebet" des Vaterunsers für ihn wichtig.

Zu Beginn hatte Domkapitular Hans-Bernd Köppen an den Politiker Ludwig Windthorst erinnert, der innerkirchlich die Ortskirchen habe stärker wollen und im Kulturkampf die Freiheit der Kirche gegenüber Bismarck verteidigt habe "Er war ein katholischer Parlamentarier, aber nie ein parlamentarischer Katholik", unterstrich Köppen, "als Münsteraner hat er für die Freiheit gekämpft." Windthorst habe erkannt, dass es immer auf die Menschen ankomme, wenn es um die Freiheit gehe, und sein Handeln von der christlichen Botschaft bestimmen lassen. "Die Freiheit gilt es auch heute zu erkämpfen – im Internet, bei Abhörfragen und anderswo", mahnte der Domkapitular.

Die ‚DomGedanken 2015‘ stehen unter dem Thema ,Der Freiheit eine Gasse‘. Den fünften und letzten Vortrag der Reihe am Mittwoch, 9. September, hält unter dem Titel ,Riskante Freiheit – Wider den bevormundenden Staat‘ der ehemalige Richter am Bundesverfassungsgericht, Prof. Dr. Udo di Fabio.

Text: Bischöfliche Pressestelle
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