Am 5. November wurde Donald Trump zum 47. Präsidenten der USA gewählt. Am 9. November gedenken wir in Deutschland des Jahrestags des Novemberpogroms 1938. Beide Ereignisse beschäftigen mich, allein schon wegen der Datumsnähe, und beschäftigen vielleicht auch einige von Ihnen in diesen Tagen. Gibt es Verbindungen zwischen zwei so gegensätzlichen Ereignissen: der freien und demokratischen Wahl eines Präsidenten im Jahr 2024 und dem antisemitischen Wüten gegen Synagogen 1938?
Die Antwort ist zunächst: Nein, das Novemberpogrom fand in einem faschistischen Staat statt, in dem alle Kontrollinstanzen abgeschafft waren und das Führerprinzip galt. Davon ist die Demokratie der USA meilenweit entfernt. Auch Trump und seine Regierung mit dem deutschen Faschismus zu vergleichen, ist falsch und dämonisierend.
Was mich aber nachdenklich stimmt, ist eine Beobachtung, die Sie vielleicht auch machen: Es ist der radikale Wille zur sprachlichen Brutalität. Trump ist bereit, zu diffamieren, herabzuwürdigen, auszugrenzen: „Sie essen ihre Hunde, sie essen ihre Katzen“, diese groteske Aussage Trumps über Immigranten in Ohio lässt bei mir Assoziationen mit ebenso grotesken Vorwürfen hochkommen, die gegen Juden gerichtet waren – etwa, dass sie Brunnen vergiften oder dass sie für rituelle Zwecke Kinder töten. Die sprachliche Demütigung und Entmenschlichung von Menschen, die nicht als zugehörig, nicht als Teil der eigenen Gruppe, der eigenen Überzeugung gewertet werden – das ist der Weg, den Trump geht – und das amerikanische Volk duldet dies mehrheitlich, das wissen wir seit dem 6. November definitiv. Die Novemberpogrome waren Zwischenstation auf einem solchen Weg der Entmenschlichung. Die Grenzverschiebung in der Sprache bereitet die Grenzverschiebung im Handeln vor und lässt uns sorgenvoll auf eine Wahl und eine Präsidentschaft blicken, die Ergebnis einer solchen Taktik sind: Sprache zu brutalisieren und Menschen als Feinde zu identifizieren und zu diffamieren.
Auch mit Blick auf Deutschland ist erkennbar, dass der Ton rauer, die Aufregung größer, die Verhärtung zwischen gesellschaftlichen Gruppen, vielleicht auch zwischen (Regierungs-)Parteien stärker werden. Wir leben auch in Deutschland in einer polarisierten Zeit – und bewegen uns damit in der Fluchtlinie, die Trump in seinem Wahlkampf erfolgreich verfolgte: spalten und herrschen.
Gegen diese Dynamik der Polarisierung und Entmenschlichung des Gegenübers gibt es Mittel. Individuell kann dies zum Beispiel in Diskussionen bedeuten: Sachorientierung – was ist eigentlich Fakt? Was genau wissen wir wirklich? Und Verlangsamung kann helfen: in Ruhe zuhören, genau wahrnehmen, zunächst das Argument des Gegenübers wirklich zu verstehen suchen und sich selbst befragen, was an dem Gegenargument richtig sein könnte. Daneben geht es um eine bewusste Haltung, die den jüdisch-christlichen Erfahrungsschatz des Zusammenlebens von Menschen und Völkern nutzt und vergegenwärtigt. Die Spitzenaussage und der Anspruch der „Feindesliebe“ bleibt uns hier nicht erspart, weil genau sie die humane und gesellschaftliche Antwort auf die Taktiken der Entmenschlichung des Fremden, des Nicht-Zugehörigen ist, die wir diese Tage erleben. Dies bedarf der Anstrengung, der persönlichen, der politischen, der gesellschaftlichen. Wenn uns der Ton der Verbundenheit, die Sprache der Wertschätzung, die Haltung der Aufmerksamkeit und Empathie gelingen, gerade dann, wenn es rau, wenn es brutal, wenn es destruktiv und unversöhnbar wird, dann durchbrechen wir die Dynamik der Entmenschlichung des anderen.