Betroffene zum Statement des Bischofs

, Bistum Münster

Nach der Pressekonferenz am 17. Juni äußerten sich mit Sara Wiese, Dr. Hans Jürgen Hilling und Thomas K. (Name geändert) drei Betroffene sexuellen Missbrauchs zum Statement von Münsters Bischof Dr. Felix Genn.

Sara Wiese

Sara Wiese

© Bistum Münster

Wie ist Ihr erster Eindruck von dem, was Bischof Dr. Felix Genn während der Pressekonferenz gesagt hat?

Thomas K.: Wir können an dieser Stelle nur unsere ersten Eindrücke wiedergeben. Ich nehme Bischof Genn ab, dass er betroffen ist und alles in seiner Macht Mögliche versuchen wird, um Dinge umzusetzen. Allerdings: Die Grenzen seiner Konsequenzen bestimmt er selbst. Beispielsweise hat er entschieden, dass die Gräber der schwer belasteten münsterschen Bischöfe Keller, Tenhumberg und Lettmann im Dom verbleiben. Ich hätte erwartet, dass er auch zu diesem Thema überhaupt eine Diskussion führt.

Hans Jürgen Hilling: Dem kann ich zustimmen. Ich war bereits nach 30 Sekunden empört: der Bischof meint, Betroffene hätten „Anspruch“ auf Aufarbeitung und Reue. Ich meine: Betroffene haben vor allem auch Anspruch auf Schadenersatz und Entschädigung. Dazu äußerte sich Genn erst auf Nachfrage überhaupt.

Sara Wiese: Ich glaube schon, dass Genn bemüht ist, Fehler nicht zu wiederholen. Aber ich sehe nach wie vor viele Fragezeichen... Wenn er sagt, dass die katholische Kirche früher von Männern geprägt war... Aber wieso war? Wieso spricht er in der Vergangenheitsform?

Thomas K.: Dem kann ich beipflichten. Er spricht davon, dass es ein überhöhtes Priesterbild gegeben habe; er erweckt damit den unzutreffenden Eindruck, dass dieses Priesterbild der Vergangenheit angehöre. Wenn ich mir z.B. Gottesdienste im Dom ansehe, dann stelle ich fest, dass es dieses Bild bis heute gibt. Da muss dringend etwas passieren.

Hans Jürgen Hilling: Gut ist, dass Genn weitere Aufarbeitungsmaßnahmen angekündigt hat – beispielsweise über sexuellen Missbrauch in Ordensgemeinschaften und Internaten. Und dass diese nicht nur auf Kleriker beschränkt sein sollen. Und auch das Angebot an Betroffene, auf Wunsch weitere Fallstudien anzugehen, ist ein guter Ansatz. Hoffentlich wird dies alles auch umgesetzt. Es sind große Worte, und in der katholischen Kirche ist nicht selbstverständlich, dass großen Ankündigungen auch Taten folgen ...

Was sehen Sie noch positiv? Was kritisch?

Hans Jürgen Hilling: Aufgebracht hat mich die Tatsache, dass der Bischof 30 Minuten gebraucht hat, um seine vielfältig vertuschend tätig gewordenen Vorgänger namentlich zu nennen. Nach 30 Minuten fiel z.B. der Name Lettmann... Damit wird man der Unrechtsgeschichte und der Schuld dieser Bischöfe nicht gerecht. Und warum stellt er einem – wie die Studie besagt – an vielen problematischen Maßnahmen maßgeblich beteiligten ehemaligen Generalvikar und späteren Weihbischof Thissen nicht den Stuhl als Ehrendomkapitular vor die Tür? Was Thissen mindestens zu verantworten hat, ist bei Großbölting ganz einfach nachzulesen.

Sara Wiese: Herr Genn kündigt zwar an, Konsequenzen zu ziehen, ohne jedoch konkrete Konsequenzen seines eigenen Fehlverhaltens zu benennen. Auffallend war, dass Genn das Wort „Schuld“ im Zusammenhang mit Priestertätern und Vertuschern – wenn ich richtig gehört habe – nicht ein einziges Mal verwendet hat ...

Hans Jürgen Hilling: Positiv klang für mich, dass sich auch Genn dafür ausspricht, dass der Staat bei der Aufklärung künftig stärker beteiligt werden soll. Wie genau, das hat der Bischof aber im Unklaren gelassen. Meines Erachtens wird es ohne konkrete Ermittlungsbefugnisse staatlicher Stellen unabhängig von Verjährung nicht gehen.

Worauf sollte aus Ihrer Sicht künftig ein Schwerpunkt liegen?

Sara Wiese: Die Fokussierung auf einen Schwerpunkt reicht nicht aus, der Themenbereich ist zu komplex. Wenn es nur einen Schwerpunkt gibt, wird immer anderes vernachlässigt. Auffallend war z.B., dass in Pressekonferenz heute die Präventionsabteilung des Bistums überhaupt nicht vorkam. Man muss aber Prävention und Intervention gleichermaßen beachten und fördern.  Präventionsmaßnahmen gelingen nicht, ohne die Intervention mitzudenken und umgekehrt. Zusätzlich ist mir ein traumasensitives seelsorgerisches Angebot für Betroffene wichtig, denn nicht alle haben der Kirche und dem Glauben den Rücken gekehrt.

Gudrun Niewöhner