
Mit Blick auf aktuelle Entwicklungen mahnte Staatsministerin a.D. Sylvia Löhrmann in ihrem Vortrag: „Antisemitismus ist kein Problem der Jüdinnen und Juden, sondern eine Herausforderung für die gesamte Gesellschaft.“
Unter dem Titel „Vom Menschheitsverbrechen zum Zukunftsversprechen“ erinnerte Pfarrer Martin Mustroph, Vorsitzender der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Münster, in seiner Einführung an das Vermächtnis der im September verstorbenen deutsch-südafrikanischen Shoah-Überlebenden Ruth Weiss: Mit eindringlichen Worten schilderte er das Schicksal von Weiss’ Familie, deren Angehörige während der Novemberpogrome ermordet wurden. „Nicht schweigen, die Menschen vergessen schnell“, zitierte Mustroph die Jüdin, „sie vergessen sogar den Ruf: Nie wieder.“
Sharon Fehr, Ehrenvorsitzender und Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde Münster, dankte den Gästen aus Politik, Justiz, Wirtschaft, Bildung, Kultur, Kirchen und Religionsgemeinschaften für ihre Anwesenheit: „Ihr Kommen ist ein starkes Zeichen der Solidarität, der Verantwortung und der Hoffnung“, sagte Fehr. „Gedenken ist keine Pflichtübung, sondern Ausdruck einer Haltung.“ Er verwies auf die zunehmende Zahl antisemitischer Vorfälle auch in Münster und betonte: „Erinnern heißt handeln. Wir dürfen nicht wegsehen, wenn Menschen bedroht, ausgegrenzt oder angefeindet werden.“
In ihrem Hauptvortrag erinnerte Staatsministerin a.D. Sylvia Löhrmann, Beauftragte des Landes Nordrhein-Westfalen für Antisemitismusbekämpfung, jüdisches Leben und Erinnerungskultur, an die Warnung des Auschwitz-Überlebenden Marian Turski: „Auschwitz ist nicht vom Himmel gefallen.“ Schritt für Schritt habe sich Hass eingeschlichen, bis aus Worten Taten wurden. Löhrmann machte deutlich, dass die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit „ein Zeichen von Stärke und Verantwortung“ sei: „Demokratie ist kein Zustand, sondern ein ständiger Prozess – wir müssen sie jeden Tag verteidigen.“
Mit Blick auf aktuelle Entwicklungen mahnte Löhrmann: „Antisemitismus ist kein Problem der Jüdinnen und Juden, sondern eine Herausforderung für die gesamte Gesellschaft.“ Allein in Nordrhein-Westfalen habe es 2024 rund 700 antisemitische Straftaten und mehr 900 dokumentierte Vorfälle unterhalb der Strafbarkeit gegeben – ein drastischer Anstieg. „Sichtbares jüdisches Leben braucht Sicherheit, und Sicherheit ist Voraussetzung für Zukunft“, sagte sie. Sie erinnerte ebenfalls an die verstorbene Zeitzeugin Ruth Weiss, die mit 101 Jahren in Münster beigesetzt wurde: „Erinnern heißt handeln – das ist ihr Vermächtnis und unser Auftrag.“
Auch Regierungspräsident Andreas Bothe unterstrich in seinem Grußwort: „‚Nie wieder‘ darf nicht nur eine Erinnerung bleiben, sondern muss zu Handeln werden – weil Antisemitismus nicht nur Jüdinnen und Juden trifft, sondern unsere gesamte Gesellschaft gefährdet.“
Als Zeichen gegen das Vergessen wurden sechs Kerzen entzündet, die an die mehr als sechs Millionen Menschen jüdischen Glaubens erinnern, die während der Herrschaft der Nationalsozialisten getötet wurden.
Ann-Christin Ladermann
