Eva Olejok: Schubladen? Nein danke!

, Bistum Münster

Themen gibt es viele, Meinungen noch mehr. Nicht immer werden sie sachlich vorgebracht und ausgetauscht. Und viel zu oft bestimmen Empörung, Negativität, Ich-Bezogenheit und gegenseitige Attacken die Diskussionen. „Die Montagsmeinung“, das Meinungsformat des Bistums Münster, soll hier ein anderes Zeichen setzen. Persönlichkeiten aus Gesellschaft und Kirche, die sich dem Bistum verbunden fühlen, setzen sich darin mit Themen auseinander, die für sie und andere relevant und aktuell sind. Die Autorinnen und Autoren lassen es aber nicht bei Klagen und Kritik. Sie haben vielmehr konstruktive Ideen und Lösungsansätze. Diese teilen sie mit uns an dieser Stelle alle 14 Tage montags.

Die heutige “Montagsmeinung” kommt von Eva Olejok. Die Pastoralreferentin arbeitet im Seelsorgeteam der Pfarrei St. Georg Bocholt und als Schulseelsorgerin am Bischöflichen St.-Josef-Gymnasium Bocholt (Kapu).

In unserer schnelllebigen Welt werden Diskussionen oft von Empörung und Schubladendenken geprägt. Doch was, wenn wir stattdessen Brücken bauen? Als Theologin der Generation X erlebe ich: Die spannendsten Lösungen entstehen, wo wir uns nicht einordnen lassen. Vielleicht ist das die Haltung, die wir in Kirche und Gesellschaft brauchen: eine Art Hybrid-Denken als Chance.

Letztes Jahr besuchte ich eine Fortbildung zum Thema Generationen. Die Referentin erklärte uns: Babyboomer = pflichtbewusst, Gen X = zynisch, Millennials = anspruchsvoll, Gen Z = digital native. Ich konnte mich nicht recht einordnen, ich, die in den 80-ern BASIC programmierte, heute theologische Inhalte postet und sich gleichermaßen für Künstliche Intelligenz (KI) und Klimagerechtigkeit interessiert. Die Fortbildung brachte mir bei, wie wichtig Generationen-Denken ist, aber sie zeigte mir auch: Anscheinend bin ich ein Hybrid und habe mir aus jeder Generation etwas „geborgt“. Vielleicht geht es Ihnen ähnlich.

Die Digitalisierung habe ich nicht nur miterlebt, sondern mitgestaltet, mit Neugier und Bastelgeist. Während andere über die „neue Welt“ der Computer spotteten oder Angst hatten, schraubten wir an unseren C64 herum, experimentierten mit Scannern, programmierten – und lernten: Technologie ist kein Selbstzweck, sondern ein Werkzeug. Ein Werkzeug, das heute KI heißt, vor dem ich mit der gleichen Neugier stehe wie damals. Ich durfte beides erleben: die Welt vor dem Internet – und die Welt, in der wir ohne es nicht mehr klarkommen. Ein Hybridwesen: analog geboren, digital sozialisiert, neugierig geblieben.

Work-Life-Balance und Klimagerechtigkeit: Generationenübergreifende Themen

Work-Life-Balance ist das Thema der Generation Y – und wurde von vielen adaptiert, die merkten: Nur Arbeit macht nicht glücklich. Schon in den 80-ern gab es Klimaproteste: die Sorge um sauren Regen, Waldsterben, Anti-Atomkraft-Bewegungen. All das wurde überdeckt von den 90-ern, als wirtschaftlich über „blühende Landschaften“ nachgedacht wurde, als hätte der Fall der Mauer einen dichten Staubteppich über das Thema Klima gelegt. Ein neuer Wachstumsoptimismus war spürbar, ein Aufwind. Klimagerechtigkeit und Schöpfungsverantwortung rückten in den Hintergrund. Dafür waren die Proteste der jüngeren Generation nötig. Klimawandel ist aber kein Generationen-, sondern ein Menschheitsproblem.

Genauso verhält es sich mit der künstlichen Intelligenz, die uns alle vor grundlegende ethische Fragen stellt: Wer entscheidet, wenn Algorithmen über Leben, Gerechtigkeit oder Wahrheit mitbestimmen? Autonome Systeme in Medizin, Militär oder Pflege werfen die Frage auf, wie viel Kontrolle wir abgeben dürfen – und wer haftet, wenn KI diskriminiert oder falsch entscheidet. Wie schützen wir Privatsphäre in einer Welt der totalen Überwachung? Während viele „digital Natives“ digitale Transparenz oft als Normalität akzeptieren, warnen Ältere vor den Gefahren eines gläsernen Menschen, erinnert an historische Überwachungsregime. Wie vermeiden wir, dass KI soziale Ungleichheit verstärkt? Wenn Jobs durch Automatisierung wegfallen, betrifft das alle Altersgruppen. Darf KI emotionale Bindungen ersetzen? Roboter in der Pflege oder Chatbots als Psychologen berühren die Frage, was Menschlichkeit ausmacht – ein Thema, das viele Ältere bewegt, während Jüngere KI als selbstverständlichen Begleiter sehen.

Als Schulseelsorgerin erlebe ich, wie Jugendliche KI für Hausaufgaben nutzen – und wie Lehrkräfte verzweifelt versuchen, Deepfakes von echten Leistungen zu unterscheiden.  Wie bewahren wir Wahrheit? Die Grenze zwischen Realität und Fiktion verschwimmt, alle Generationen sind verführbar: die einen durch mangelnde Medienkompetenz, die anderen durch Gewöhnung. Wer hat Zugang zu KI, wer wird abgehängt? Die digitale Kluft droht, Ungerechtigkeiten zu vertiefen, in der Bildung oder im globalen Süden. Ist der Energiehunger der KI angesichts der Klimakrise vertretbar? Und schließlich: Dürfen wir eine Technologie schaffen, die uns überlegen ist – und was bedeutet das für die Zukunft der Menschheit?

Als Theologin frage ich mich: Was bedeutet es für unser Menschenbild, wenn Algorithmen über Pflegebedürftige entscheiden – und wer tröstet diejenigen, die durchs Raster fallen? KI ist kein neutrales Werkzeug – sie verstärkt, was wir als Gesellschaft in sie hineinlegen: unsere Hoffnungen und unsere Abgründe. Gleichzeitig kann Technologie Arbeit erleichtern, Krankheiten erkennen helfen oder Bildung demokratisieren. Doch während wir noch diskutieren, wächst eine Generation heran, die KI als Alltagshelfer nutzt – mit allen Chancen und Risiken.

Die Herausforderung liegt darin, naive Technikgläubigkeit und überspitzte Technikangst zu überwinden. Wir brauchen kritische Neugier. KI ist weder Allheilmittel noch Teufelswerk. Sie ist ein Spiegel unserer selbst.

Aktuell stellt sich generationenübergreifend die Frage: Was würde Jesus zu KI sagen? Würde er sie segnen – oder den Tempel der Algorithmen umstürzen?

Technologie kann Gutes schaffen – aber sie braucht menschliche Verantwortung. Wenn Gott uns die Erde anvertraut hat (Gen 2,15), gilt das auch für die digitale Welt. Doch während wir über Algorithmen diskutieren, vergessen wir oft: Technologie ist nie neutral. Sie ist ein Spiegel unserer Nächstenliebe – oder ihrer Abwesenheit.

Als hätte die Geschichte es so gewollt, wählte das Konklave, geführt vom Heiligen Geist, im Mai 2025 mit Papst Leo XIV. einen Pontifex, der die Zeichen der Zeit erkannt hat. Der erste Papst aus den USA, Robert Francis Prevost, nahm bewusst den Namen „Leo“ an – als Verweis auf Leo XIII., der sich einst der industriellen Revolution stellte. Heute, so betont Leo XIV., stehen wir vor einer neuen Ära: „Die Revolution der künstlichen Intelligenz verändert Gerechtigkeit, Arbeit und die Würde des Menschen.“ (vaticannews.va, Oktober 2025)

Doch der Vatikan bleibt nicht bei Worten. Auf Einladung der Päpstlichen Akademie der Sozialwissenschaften (PASS) trafen sich am 16. und 17. Oktober 2025 fünfzig internationale Experten im Vatikan, um KI konkret für Frieden und soziale Gerechtigkeit zu gestalten. Der Appell des Vatikan lautet: Stopp des Wettrüstens mit KI-Waffen, verbindlicher globaler Regulierungsrahmen, „technologische Sozialgerechtigkeit“ etwa durch ein universelles Grundeinkommen, Schutz der „Neurorechte“, also der menschlichen Gedankenfreiheit vor invasiver Technologie.

Bemerkenswert ist die Gründung des „KI-Netzwerks Lateinamerika für ganzheitliche menschliche Entwicklung“, das Universitäten wie Notre Dame, MIT, Columbia University, Fudan University, Fundação Getulio Vargas und das Nationale KI-Zentrum von Chile vereint. Ihr Ziel? „Die innovativsten Maschinen müssen dem Menschen dienen – und nicht umgekehrt.“ Neue ethische Fragen gilt es zu diskutieren, damit die KI uns Menschen dient.

Neulich sagte eine jüngere Kollegin: „Typisch Boomer, immer nur motzen und von Digitalität keine Ahnung!“ Ich war irritiert – weil solche Schubladen uns nur die Gegensätze sehen lassen, nicht die Chancen, voneinander zu lernen. Diese Einteilung in Generationen ist nur ein Gerüst, das uns helfen kann zu verstehen. Es darf aber keine neuen Trennungen erzeugen, dafür sind die Themen zu wichtig und alle Menschen betreffend.

In einer Welt, in der Algorithmen über Jobs, Informationen und sogar zwischenmenschliche Beziehungen entscheiden, wird eine Haltung des „sowohl – als auch“ zur Brückenbauerin. Vielleicht ist das die Lehre des Hybrid-Denkens: dass wir das Neue weder fürchten noch unkritisch feiern müssen, sondern klug gestalten. Mit Neugier, mit Augenmaß – und mit dem Mut, Schubladen zu verlassen. Eben miteinander.

Die Zukunft gehört denen, die Brücken bauen – zwischen den Generationen, zwischen Analog und Digital, zwischen Angst und Fortschrittsglauben. Und die verstehen, dass die beste KI die ist, die uns nicht ersetzt, sondern daran erinnert, was uns menschlich macht: die Fähigkeit, Verantwortung zu übernehmen. Für die Schöpfung, füreinander – und für die Maschinen, die wir erschaffen und kontrollieren müssen.

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