
Fabian Löckener
© PrivatOkay, neu ist der Spruch nicht, aber gut bekannt: Zu Fußballgroßereignissen mutieren wir regelmäßig zu einer Nation von 83 Millionen Bundestrainerinnen und -trainern. Oder, wie es die Kommunikationswissenschaftlerin Katrin Keller in ihrem Buch „Der Star und seine Nutzer“ zusammenfasst: „Wir sind ein Volk von Bundestrainern, Musikexperten, Fernsehkritikern und Menschenkennern auf Distanz.“ Und egal, um welchen dieser Bereiche es geht: Die eigene Position ist natürlich die richtige, und alle anderen liegen eben falsch. Auch der zurückliegende Wahlkampf und die Aussagen der Spitzenkandidatinnen und -kandidaten haben das erneut eindrucksvoll dargelegt.
Und dann gab es vor kurzem einen Satz des ehemaligen SPD-Generalsekretärs Kevin Kühnert in der Wochenzeitung „Die Zeit“ (Nr. 17/2025), der das gekonnt und vollkommen richtig aufbricht: „Es braucht das ständige Bewusstsein, dass der politische Gegner auch recht haben könnte.“
Meine Theorie: Wenn wir das verinnerlichen – nicht nur im Politischen, sondern für alle Bereiche unseres Lebens – werden wir uns anders begegnen: offener, wertschätzender, sozialer und vor allem ehrlicher. Bitte nicht missverstehen: Manche (Brand-)mauern müssen ohne Frage bestehen bleiben. Aber meiner Meinung nach hat diese Haltung ein nicht zu unterschätzendes Potenzial, der gesellschaftlichen Spaltung entgegenzuwirken.
Kevin Kühnert wurde aufgrund seiner Haltung mehrfach Gewalt angedroht und auch angetan. Wäre das passiert, wenn diese Menschen eine Sekunde darüber nachgedacht hätten, dass Kühnert mit seiner Einstellung Recht haben könnte? Klar, Diskussion und Austausch sind immer erwünscht, und dabei muss man nicht zwingend das Gegenüber von der eigenen Meinung überzeugen. Die Meinungsvielfalt ist unbedingt zu respektieren. Das klappt übrigens auch bei meinem Stammtisch (weshalb ich die Runde außerordentlich schätze…).
Andere Meinungen zu akzeptieren, ist aber nur der erste Schritt: Irgendwann stellt sich in der Regel heraus, wer (Un-)Recht hat. Hier lehne ich mich nochmal aus dem Fenster: Mir sind Menschen, die zu ihren Fehlern stehen und vor allem daraus Konsequenzen ableiten, deutlich lieber als Menschen, die selbst im Moment der „Niederlage“ immer noch zwanghaft versuchen, ihren Standpunkt zu sichern. „Sich ernsthaft mit den Ursachen […] befassen und für die gemachten Fehler Verantwortung übernehmen, so lautet das Gebot der Stunde - anstatt sofort wieder in die alte Wahlkampflogik zu verfallen“: So hat es der Politologe, Publizist und Journalist Albrecht von Lucke schon 2008 formuliert (Quelle: taz.de). Vor einiger Zeit war er für einen Vortrag in Steinfurt zu Gast und hat diesen Appell für das politische Berlin von heute wiederholt.
Mein Wunsch ist, dass nicht nur die Politik, sondern wir alle als Gesellschaft uns das zu Herzen nehmen. Spaltung und Gewalt haben wir genug. Lasst uns auf Augenhöhe miteinander sprechen und uns im Zweifel darauf einigen, dass wir uns uneinig sind.
Anders als der Bundestrainer-Spruch wäre das doch mal neu, oder nicht?!